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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Schulter floß es allerdings immer noch reichlich. Rina zog ihre Jacke aus, wickelte sie ihm um die Schulter und drückte mit ihrem ganzen Gewicht dagegen.
    »Gut …«, flüsterte Decker. »Das ist … gut.«
    Langsam verringerte Rina den Druck. Wieder quoll Blut hervor. Sie verstärkte den Druck wieder, verzweifelt bemüht, die Blutung zum Stillstand zu bringen. Sie zählte bis sechzig, dann bis hundertzwanzig und verringerte erneut den Druck.
    Es sickerte zwar immer noch Blut aus der Wunde, aber aus dem roten Fluß war ein Rinnsal geworden.
    »Es fängt an zu gerinnen«, sagte Rina. Entweder das oder der Schock brachte alle Körperfunktionen zum Erliegen. Oh, Gott, wag es bloß nicht, diesen Mann sterben zu lassen!
    »Mein Arm …« Decker biß sich auf die Lippen, um das Zittern zu unterdrücken. »Versuch … die Aderpresse zu lockern.«
    Rina drehte den Stift einige Umdrehungen zurück.
    »Besser.« Deckers ganzer Körper war wie gelähmt. »Wie geht’s … Noam?«
    Rina sah zu dem Jungen, der ebenfalls zitterte, befahl ihm, sich hinzulegen und die Knie anzuziehen. Er befand sich ebenfalls in einem Schockzustand, aber eher aus Panik als wegen des Blutverlusts.
    »Ihm ist nichts passiert, Peter.« Sie nahm seine Hand und rieb sie kräftig. Sie fühlte sich an wie eine tote Eidechse. »Alles okay.«
    Im Hintergrund heulten Sirenen.
    »Hilfe ist unterwegs, Peter. Ich hab’ sofort angerufen, als du’s mir gesagt hast. Ich hab’ dich über Funk gehört, Honey, aber ich hab’ nicht rausgekriegt, wie ich dir antworten kann. Ich hab’s einfach nicht geschafft. Und ich war nervös. Ich wär’ auch nicht gekommen, wenn ich nicht die Schüsse gehört hätte.«Decker antwortete nicht.
    »Ich hatte deinen Ersatzschlüsselbund, weißt du, den großen schweren …« Rina plapperte einfach drauflos. »Da waren all deine Schlüssel dran, auch ein zweiter Schlüssel für die Handschellen. Damit bin ich losgekommen. Ich weiß, daß du’s mir verboten hast.« Vergeblich versuchte sie, die Tränen wegzublinzeln. »Es tut mir leid, Peter. Sei mir bitte nicht böse.«
    »Ich liebe dich«, flüsterte er.
    »Ich liebe dich auch.« Sie wischte sich die Wange. »Hilfe ist unterwegs, Honey. Es wird alles wieder gut.«
    Decker zitterte immer noch.
    »Es wird alles wieder gut, Honey, ganz bestimmt. Der Krankenwagen ist gleich da. Ich muß den Sanitätern ein Zeichen geben. Die wissen ja nicht, wo wir sind. Hast du eine Decke im Auto?«
    »Im Kofferraum.«
    »Ich hol’ sie dir. Warte.«
    Rina lief zum Plymouth.
    Decker stöhnte. Das Zittern hörte nicht auf. Seine Füße und Beine waren starr wie Balken. Er konnte nur noch verschwommen sehen, also schloß er die Augen. Er spürte das Pochen in seinem Arm, den Schmerz in seiner Schulter und war froh, überhaupt etwas zu empfinden. Es war ein Zeichen dafür, daß durch seinen ganzen Körper noch Blut floß, bis hinein in die Fingerspitzen. Er betete, daß er genug Plasma hatte, um ihn am Leben zu halten, und genug Zirkulation im Arm, damit der nicht abstarb. Selbst bei minimalem Blutfluß sollte der Arm wieder in Ordnung kommen.
    Die Sirenen kreischten, dann verstummten sie. Wie lange hatte es gedauert? Drei Minuten? Oder vielleicht weniger?
    Gott sei Dank, daß Rina ihn gehört hatte.
    Rina.
    Alles, was er wollte, war, sie in den Armen zu halten. Möge Gott ihn dazu in der Lage sein lassen.
    Er versuchte zu atmen. Es tat weh. Es tat sehr weh. Doch zumindest spürte er etwas. Das war gut. Das war verdammt gut.
    Seine Waffe und Rinas Waffe. Beide lagen friedlich an seiner Seite. Er hatte seine Beretta leergeschossen, aber Rinas Waffe war noch geladen.
    Mit heroischer Anstrengung griff er nach Rinas 38er, hob den Kopf und sah nach links, weil er wußte, daß er Hershs Leiche in die Richtung gestoßen hatte. Er hob den rechten Arm. Selbst bei seinem unverletzten Arm verursachte jede Bewegung einen teuflischen Schmerz. Er sah doppelt, aber das spielte keine Rolle.
    Nur das Zittern. Er zitterte so stark, daß er den Kopf nicht aufrecht halten konnte. Er sank wieder auf die Erde.
    Aber er gab nicht auf. Wie einen dienstbaren Geist, der seinem Meister treu ergeben ist, zwang er seine Hand nach oben. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, hielt er den Revolver wenige Zentimeter von Hershs Kopf entfernt und schoß. Unter der Wucht des Einschusses aus so kurzer Entfernung bäumte sich die Leiche auf.
    Noam fing wieder an zu schreien.
    Zum Teufel mit ihm, dachte Decker. Laß ihn schreien. Er

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