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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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leerte die ganze Trommel in Hershs Kopf.

DRITTER TEIL
    Teschuwah – Reue

29
    Zunächst war Rina wegen Peters körperlicher Genesung besorgt. Aber als klar wurde, daß er nicht mehr in Lebensgefahr schwebte und auf dem Weg der Besserung war, bereitete ihr sein psychisches Befinden immer größere Sorgen. Sobald sich sein Zustand stabilisiert hatte, schien es Peter rein medizinisch betrachtet ganz gut zu gehen. Zwar hatte er offensichtlich Schmerzen, doch sein Arm und seine Schulter waren recht gut beweglich.
    Rina wußte, daß er auf emotionaler Ebene keinen an sich ran ließ. Er weigerte sich, in irgendeiner Form mit ihr, mit Marge oder Mike über sein traumatisches Erlebnis zu reden, geschweige denn mit den Ärzten oder gar dem Psychologen, den seine Dienststelle geschickt hatte. Wenn jemand etwas wissen wollte, sagte Peter, er solle seinen Bericht lesen.
    Es gab Berge von Papierkram zu erledigen, und seine Vorgesetzten stellten beharrlich immer wieder dieselben Fragen. Doch Peter wußte geschickt zu kontern und schrieb Berichte, bis seine Finger wund waren und Rina darauf bestand, daß er aufhörte.
    Doch sein größtes Bemühen galt Noams Freilassung – eine notwendige Ablenkung. Solange Peter sich auf Noam konzentrierte, konnte er seine eigenen Probleme verdrängen. Und da gab es eine Menge aufzuarbeiten.
    Peter arbeitete nicht nur als Polizist, sondern auch als Anwalt. Er entwickelte Verteidigungsstrategien und schrieb dann Polizeiberichte, die seine Schlußfolgerungen unterstützten. Seine Argumentation war einfach: Noam war schlicht und ergreifend ein Opfer gewesen. Er mochte New York zwar freiwillig mit Hersh Schaltz verlassen haben, doch er hatte niemals vorgehabt, bei kriminellen Handlungen mitzumachen. Sobald sie in Los Angeles waren, fühlte Hersh sich sicher genug, sein wahres Gesicht zu zeigen, weil Noam ihm absolut ausgeliefert war – ein minderjähriger Junge, der von seiner Familie abgeschnitten und ganz mittellos war. Für alles Lebensnotwendige wie Essen, Kleidung und Unterkunft war er völlig auf Hersh angewiesen. Hersh hatte Noams totale Abhängigkeit von ihm in Verbindung mit einer ständigen Todesdrohung benutzt, um den Jungen wie ein Hypnotiseur in Trance zu halten. Aus Angst um sein eigenes Leben hatte Noam Hersh Beihilfe leisten müssen.
    Es gab Präzedenzfälle, die diese Verteidigung unterstützten. Aber der Junge hatte Glück und brauchte überhaupt keinen Verteidiger. Die höheren Tiere in der Abteilung sahen die Sache genauso wie Peter. Und ohne Zeugen oder konkrete Beweise, die Noam direkt mit den Verbrechen in Verbindung brachten, hielt die Staatsanwaltschaft den Fall für zu aussichtslos, um ihn vor Gericht zu bringen. Die Anklage wurde fallen gelassen, noch nicht mal auf ein weniger schwerwiegendes Verbrechen heruntergehandelt, sondern einfach fallen gelassen.
    Aber damit waren die Probleme des Jungen keineswegs gelöst. Im Gegenteil, Rina hatte den Eindruck, sie fingen gerade erst an. Sie hatte sich mal eine Stunde davongestohlen und ihn besucht, bevor seine Eltern kamen. Noam war nur noch ein Schatten seiner selbst, etwas, das man nur noch vage als Mensch bezeichnen konnte. Er saß zusammengekauert in seiner Gefängniszelle, die Schultern auf den Knien, den Kopf an die Brust gedrückt. Er reagierte weder auf ihre Worte, noch auf ihre Berührungen. Bis auf ständiges Beten schien ihn nichts mehr zu interessieren.
    Als Vermittlerin zwischen Peter und der Polizei leitete Rina alles in die Wege, damit die Eltern Noam abholen konnten. Doch als es soweit war, wußte sie, daß sie sich nicht mit ihnen auf der Wache treffen konnte. Sie redete sich ein, daß Peter sie mehr brauchte als die Levines. Und das stimmte auch. Aber ihr war ebenfalls klar, daß sie den Ausdruck auf Breinas Gesicht nicht würde ertragen können, wenn diese sah, was aus ihrem Sohn geworden war.
    Also konzentrierte Rina sich auf Peter. Sie munterte ihn auf und versuchte, ihm alles so bequem wie möglich zu machen. Er klagte nicht viel. So war Peter nun mal.
    Sie erwartete, daß er sich nur langsam öffnen würde, und war über seine kurzen plötzlichen Wutausbrüche nicht überrascht. Als er sich weigerte, Schmerzmittel zu nehmen, führte sie das einfach nur auf seinen typischen Dickschädel zurück.
    Doch sie wußte, daß etwas ganz schwer im argen lag, als Peter anfing, sich irrational zu verhalten. Peter, das durch und durch rationale Wesen. Wenn etwas Sinn hatte, tat man es. Wenn nicht, ließ man es

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