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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Polizisten, um nach meinem Sohn zu suchen?« Dann sah er Decker voll Angst an. »Glauben Sie denn, daß ich die Polizei brauche?«
    »Nein«, sagte Decker.
    »Warum wollen Sie dann mitkommen?« fragte Ezra mit lauter Stimme.
    Decker zuckte die Achseln. »Ganz wie Sie wollen, Ezra. Wenn Sie Begleitung möchten, komme ich gern mit.«
    »Mir ist ganz egal, wer geht«, kreischte Breina. »Aber geht doch endlich.« Sie brach in Tränen aus.
    »Warum teilt ihr beide euch nicht einfach auf?« schlug Shimon vor. »Dann geht es doppelt so schnell.«
    »Ich kenne seine Freunde nicht und weiß auch nicht, wo sie wohnen«, antwortete Decker.
    »Ich kann Sie hinführen«, bot sich Aaron, Noams älterer Bruder, an.
    »Ich brauche keine Begleitung!« protestierte Ezra.
    »Dann geh doch endlich«, sagte Breina.
    Frieda griff ein. »Ezra, nimm bitte Akiva mit.«
    »Mama, es gibt keinen Grund, einen Polizisten …«
    »Nimm ihn mit!« befahl Frieda. »Du solltest jetzt nicht alleine sein.«
    Deckers und Friedas Blicke trafen sich. Nach außen hin wirkte sie ganz gefaßt. Ihre Stimme war fest und ihre Augen trocken. Ihre Hände zitterten nicht, doch sie hatte sie so fest geballt, daß die Knöchel fast weiß waren. Was er vor sich sah, war eine total verängstigte Großmutter, die sich sehr stark bemühte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Eine Situation, die er schon unzählige Male als Detective im Jugenddezernat erlebt hatte. Es wurde Zeit, die Vergangenheit beiseite zu schieben. Er gab ihr durch ein Schulterzucken zu verstehen, daß alles nicht so schlimm sei. Sie antwortete, indem sie ebenfalls mit der Schulter zuckte.
    Ihre erste echte Kommunikation: ein mehrmaliges unverbindliches Schulterzucken.
    Ezra hingegen konnte seine Unruhe kaum noch verbergen. Er kaute ununterbrochen an den Fingernägeln und stand ganz steif da, die Füße wie angefroren, als ob er das Gehen verlernt hätte.
    Decker konnte diese Reaktion durchaus verstehen. Der Junge war zwar erst wenige Stunden verschwunden, doch die Umstände waren ungewöhnlich. Dem Polizisten in ihm gefiel das überhaupt nicht. Natürlich hatte er genügend Erfahrung, um zu wissen, daß sich in den meisten Fällen die Panik als unbegründet herausstellte. Doch er konnte nicht umhin, an die Gegenbeispiele zu denken – an die eiskalten jugendlichen Körper auf den Stahltischen im Leichenschauhaus …
    Er mußte die Leute zum Handeln bewegen. Deshalb legte er einen Arm um Ezra und schob ihn sanft zur Tür. »Lassen Sie mich mitkommen, Ezra. Ich kann ein bißchen Bewegung vertragen. Wie viele Häuser müssen wir abklappern?«
    »Wo sollen wir hingehen, Breina?« fragte Ezra seine Frau mit gebrochener Stimme.
    Breina rasselte eine Liste von Namen herunter.
    »Ein Klacks«, sagte Decker. »Kennen Sie die Familien alle?«
    Ezra nickte.
    »Okay«, sagte Decker. »Dann wollen wir es hinter uns bringen.« Er klopfte Ezra auf den Rücken. »Sie gehn vor.«
    Er bemerkte, daß Breina Levine eine Hand auf ihre Brust gelegt hatte und offenbar viel zu hastig atmete. Bevor er hinausging, flüsterte Decker Jonathan zu, er solle ein Auge auf seine Schwägerin haben.
     
    Als das Essen schließlich serviert wurde, teilte sich die Gesellschaft in zwei Gruppen, in die, die aßen, weil sie nervös waren, und die, denen vor lauter Aufregung der Magen wie zugeschnürt war. Die Warterei schien endlos. Dabei kamen Decker und Ezra schon nach einer Stunde zurück. Breina Levine warf nur einen Blick auf das Gesicht ihres Mannes und brach auf einem Stuhl zusammen. Frieda lief in die Küche, um ihr ein Glas Wasser zu holen.
    Decker sagte zu Jonathan und Shimon. »Schicken Sie alle bis auf die Familienangehörigen nach Hause.« Dann dachte er über das nach, was er gerade gesagt hatte.
    Er gehörte zur Familie, verdammt noch mal.
    »Glauben Sie, es sieht schlimm aus?« fragte Jonathan.
    Gut mit Sicherheit nicht, dachte Decker. Aber es hatte keinen Sinn, einem besorgten Onkel seine professionelle Meinung zu sagen.
    »Wir wissen nicht, wo der Junge ist. Das ist das einzige, was wir im Augenblick mit Bestimmtheit wissen. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen. Als erstes schicken Sie die Gäste nach Hause. Sagen Sie den Kindern – den Brüdern, Schwestern, Cousins und Cousinen –, sie sollen im hinteren Zimmer warten. Ich möchte mich gleich mit ihnen unterhalten.«
    Es dauerte eine Viertelstunde, bis alle ihre Jacken und Mäntel gefunden hatten. Man versicherte den verzweifelten Eltern und Großeltern

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