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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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es Decker. »Ich hätte es schon längst wegwerfen sollen, aber ich hatte Angst, jemand könnte mich dabei erwischen. Jedes Mal, wenn meine Mutter hier reinkommt, werde ich ganz nervös, weil ich Angst hab, sie könnte das Heft finden. Können Sie es für mich wegwerfen?«
    Decker blätterte das abgegriffene Schundmagazin durch. Die Kinder kannten eindeutig den Unterschied zwischen dem Playboy und richtigen Pornos. Er stopfte das Heft in seine Jacke. »Kein Problem.«
    Der Junge seufzte erleichtert auf. »Mann, jetzt geht’s mir besser. Vielen, vielen Dank.«
    »Keine Ursache.«
    »Steckt Noam in großen Schwierigkeiten?« fragte Yossie.
    »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.«
    »Er bringt sich oft in Schwierigkeiten. Ich hoffe nur, daß er nicht völlig durchgedreht ist. Er ist zwar ein Idiot, aber nicht böse oder so. Ich fänd’s echt schlimm, wenn ihm was passieren würde.«
    »Das verstehe ich.« Decker stand auf und half dem Jungen hoch. »Du bist ein guter Freund, Yossie. Danke für deine Hilfe.«
    Yossie nickte ernst. Decker legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter und machte ihm das gleiche Angebot, das er auch den Greitzman-Söhnen gemacht hatte. Yossie wirkte gleich fröhlicher.
    Das gute alte Disneyland – damit kriegte man alle Kids rum.

15
    Wieder ging die Sonne unter, diesmal war es das Zeichen für das Ende des jüdischen Neujahrsfestes. Decker setzte Shimon Levine zu Hause ab, dann fuhr er zu den Lazarus’. Während der Fahrt dachte er über das Gefühlschaos nach, das er in den ersten beiden Tagen seiner Flitterwochen durchlebt hatte.
    Dämmerung hüllte das Viertel ein. Ein dichter grauer Nebel hatte sich auf den Dächern niedergelassen und verdeckte Kamine und Regenrinnen, so daß die Häuser wie schlecht beschnittene Fotos aussahen. Decker klappte seinen Kragen hoch. Schwarzgekleidete Gestalten auf dem Weg zum Abendgebet huschten wie Schatten an ihm vorbei. Ihre Schuhe klapperten auf dem Bürgersteig. Er holte tief Luft und atmete sie als Dampfwolke wieder aus. Wie weit wollte er diesen Fall eigentlich noch verfolgen?
    Es fiel ihm schwer, eine rationale Entscheidung zu treffen, weil er müde und hungrig war. Er hatte nicht gefrühstückt, weil er verschlafen hatte. Mit leerem Magen und verquollenen Augen war er zum Frühgottesdienst geeilt. Danach hatte er schnell eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen, weil er wußte, daß ein voller Magen ihn nur müde machen würde. Er wollte für die Gespräche topfit sein. Die kleinste Kleinigkeit könnte sich als wichtig erweisen, und das Leben eines Kindes könnte davon abhängen, wie aufmerksam er war.
    Die Gespräche waren gar nicht schlecht gelaufen. Dank dem guten Yossie Weinstein tappten sie nicht mehr völlig im Dunkeln.
    Decker dachte über die Kinder nach, die hier lebten. Die meisten, mit denen er gesprochen hatte, hatten erstaunlich ausgeglichen gewirkt. Selbst die, die ein bißchen vom »Pfad« abgewichen waren, kannten den Unterschied zwischen Neugier und »zu weit gehen«. Die Jungen, die er befragt hatte, hatten Noam günstigstenfalls als Spinner, schlimmstenfalls als verdorben bezeichnet. Aber alle waren sich darin einig gewesen, daß er einsam zu sein schien.
    Ein einsamer naiver Junge irgendwo in der Stadt. Eine beängstigende Vorstellung. Er sah sich das Foto von Noam noch einmal an. Es lag etwas Überhebliches in seinem Gesichtsausdruck.
    Plötzlich fiel ihm Jonathans erste Äußerung über seinen Neffen ein.
    Der Junge lächelt viel, sieht aber nie glücklich aus.
    Und was Yossie über Hersh gesagt hatte.
    Er hatte ein unheimliches Lächeln – schief.
    Decker ging in Gedanken frühere Fälle durch. Er hatte es schon mit Tausenden von Problemkindern zu tun gehabt. Manche konnte man tatsächlich auf den richtigen Weg zurückführen. Aber es hatte auch die vielen anderen gegeben, die wirklich hoffnungslosen Fälle, die irgendwann im Gefängnis landeten, wenn sie überhaupt so lange lebten. Sie hatten viel gemeinsam, doch am meisten war Decker aufgefallen, daß sie alle rein emotional handelten und in keinster Weise in der Lage waren, ihre Situation einzuschätzen. Ganz gleich wie tief sie in Schwierigkeiten steckten, sie saßen einfach nur da und hatten dieses unbewegliche unheimliche Grinsen im Gesicht, als ob man ihnen gerade seine schmutzigen Geheimnisse erzählt hätte.
    Er unterdrückte ein Gähnen und hatte nur den einen Wunsch – seinen Magen in großen Mengen mit etwas Angenehmem zu füllen und die Augen zu schließen.
    Rina

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