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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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aus diesem Schlamassel herauskommen. Er dachte schon daran wegzulaufen, per Anhalter nach Hause zu fahren. Aber er hatte Angst, an irgendwelche perversen Typen zu geraten, die was Schlimmes mit ihm anstellen könnten. Hersh war zwar unheimlich, aber so was machte er nicht. Boruch Haschem, wenn’s auch nur eine Kleinigkeit war.
    Bitte, bitte, hilf mir aus diesem Schlamassel heraus, betete er. Bring mich sicher nach Hause zurück. Ich werde alles tun, was meine Eltern von mir verlangen, mich nie mehr mit meinen Geschwistern streiten, ganz fleißig lernen und alles tun, was du willst. Aber hol mich bitte, bitte aus diesem Schlamassel heraus.
    Wej is mir. Er war dumm!
    Zuerst schien es genau das Richtige zu sein. Hersh schien genau zu wissen, was ihn bedrückte. Er verstand all seine Zweifel, seine vielen Fragen. Mit Hersh konnte er wirklich reden. Hersh hörte ihm zu. Es war, als ob Hersh das Gleiche durchgemacht hätte, und das stimmte wohl auch. Hersh hatte ihm erzählt, daß er aus genauso einer Familie stammte wie er – einem Haufen Heuchler.
    So schlimm war seine Familie zwar eigentlich nicht, bloß … sie verstanden ihn einfach nicht, hörten ihm nicht zu! Das Einzige, was sie taten, war kritisieren, kritisieren und noch mal kritisieren. Seine Eltern hatte er schon längst aufgegeben, doch von seinen Onkeln und Tanten hatte er etwas mehr erwartet. Tante Miriam war zwar nett, aber sie gab ihm immer bloß was zu essen. Tante Faygie war absolut schusselig. Onkel Shimmy war nie da, und Onkel Jonathan hatte ihn wie ein Stück Dreck abgewiesen.
    Bubbe war in Ordnung, aber alt. Und Sejde? Der war auch alt.
    Aber Hersh. Der hörte zu!
    Jetzt wußte Noam, daß es zu schön gewesen war, um wahr zu sein. Hersh hatte nur seine Blödheit ausgenutzt. Und jetzt spielte er völlig verrückt und zeigte ihm ständig diese blöden Messer. Als Noam nur mal erwähnte, daß er vielleicht wieder nach Hause wollte, hatte Hersh einen Anfall gekriegt. Hatte gebrüllt und geflucht. Hersh fluchte zwar ständig, aber diesmal war es gegen ihn gegangen.
    Und dann hatte er gedroht, ihn zu … Es war zu schrecklich, überhaupt daran zu denken.
    Das komische an Hersh war, man wußte nie, was man erwarten sollte. Er konnte ganz cool sein, sogar nett. Doch im nächsten Augenblick ging er plötzlich auf einen los wie ein wilder Hund.
    Noam wußte, daß er sich zu viel Zeit gelassen hatte und hatte Angst. Die Messer gingen ihm allmählich auf die Nerven. Immer diese Messer. Hersh liebte diese Messer. Selbst wenn es nichts zu schneiden gab, machte er sich ständig daran zu schaffen – schliff sie oder spielte mit ihnen herum.
    Und dann die Sache mit den Fischen. Hersh liebte es, Fische auszunehmen. Noam hätte schon viel früher merken sollen, daß mit ihm etwas nicht stimmte. Als sie das erste Mal in seiner Wohnung in Flatbush waren, hatte Hersh einen Fisch ausgenommen. Das war unheimlich. Aber trotzdem, Hersh hörte ihm zu, wenn er redete. Das war ihm viel wichtiger erschienen.
    Er spürte, wie sein Herz schlug, als er sich der Tür näherte. Ihm war schwindlig, und sein Magen drohte das trefe Essen, das er gegessen hatte, wieder von sich zu geben. Erst hatte er es klasse gefunden, daß man essen konnte, was man wollte, ohne daß einem jemand ein schlechtes Gewissen machte. Jetzt kam es ihm so albern vor, so dumm.
    Dumm, dumm, dumm.
    Er stellte den Wäschesack ab und steckte den Schlüssel ins Schloß. Ein säuerlicher Geschmack stieg ihm in den Hals. Er öffnete die Tür.
    Hersh sah kurz auf, dann wandte er den Blick wieder dem Fernseher zu. Schon wieder diese Filme, dachte Noam. Er ging hinein und schloß die Tür. Wartete auf Anweisungen. Er mußte zur Toilette, traute sich aber nicht, das Zimmer zu verlassen, bevor Hersh etwas zu ihm gesagt hatte.
    Hersh starrte weiter auf den Fernseher. Dann zeigte er auf eine Stelle auf dem Boden und forderte Noam auf, die Wäsche dort abzustellen. Noam schluckte und nahm allen Mut zusammen, um zu fragen, ob er ins Bad gehen dürfe.
    »Warum fragst du mich das?« sagte Hersh. »Brauchst du jemand, der dir den Hintern abwischt, oder was?«
    »Nein«, flüsterte Noam, lief ins Bad und übergab sich. Er bemühte sich, möglichst leise zu sein. Trotzdem starrte Hersh ihn an, als er ins Zimmer zurückkam.
    »Ist dir schlecht oder was?«
    »Ich hab wohl das Essen nicht so gut vertragen«, sagte Noam.
    »Yeah, das war ziemlich beschissen«, sagte Hersh. »Nächstes Mal kaufen wir was Besseres, okay?«
    Noam

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