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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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er. »Hab meine Brille vergessen.« Er hatte eine tiefe Stimme. »Das ist das Problem, wenn man weitsichtig ist. Man kann ohne Brille Auto fahren, aber nichts aus der Nähe sehen. Ohne mein Gestell auf der Nase kann ich noch nicht mal die Zeitung lesen, Mann. Wenn ich kurzsichtig wär, könnt ich ohne Brille nicht Auto fahren. Dann würd ich sie nie vergessen .«
    Decker war allerdings aufgefallen, daß Clint Rina offenbar ganz gut sehen konnte. Denn in dem Moment, als sie reinkamen, war ihm der Mund aufgeklappt. Nachdem Decker seine Dienstmarke präsentiert hatte, verwandelte sich sein anzügliches Starren in verstohlene Blicke. Doch immer wieder schafften es Clints Augen, in Rinas Richtung zu wandern.
    Das Foyer war klein und roch nach Insektenspray. Die Rezeption nahm eine ganze Wand ein. Der übrige Raum war mit einem abgenutzten Plaidsofa mit sich ablösenden Kunstlederstreifen und einem Couchtisch, auf dem alte Werbezeitschriften von Fluggesellschaften lagen, praktisch zugestellt. In einer Ecke befand sich ein öffentliches Telefon. Rina stand eingezwängt zwischen Telefon und Fensterscheibe.
    »Ich hab ein Vergrößerungsglas im Wagen«, sagte Decker.
    »Nee«, sagte Willy. »Ist schon okay. Ich kann zwar keine Einzelheiten erkennen – könnte Ihnen zum Beispiel nicht sagen, ob dieser Typ hier blaue oder braune Augen hat. Das sind natürlich eh Schwarzweißfotos, aber ich mein, ich könnt nicht sagen, ob die Pupille hell oder dunkel ist.« Er gab Decker die Fotos zurück. »Aber ich kann genug erkennen, um Ihnen zu sagen, daß diese beiden Typen hier waren. Sind gestern morgen abgereist und haben ihre Rechnung bezahlt. Keine Probleme.«
    Volltreffer beim ersten Versuch. Decker ermahnte sich, nicht zu vergessen, daß er Rina einen dicken Kuß schuldete. »Haben die gesagt, wo sie hinwollten?«
    »Nee«, sagte der Mann an der Rezeption. »Das tun die nie. Wenn ich Glück hab, bezahlen die einfach die Rechnung und verschwinden. Bei den beiden gab’s keine Probleme. Haben bar bezahlt.«
    »Wie sind sie weg?«
    »Durch die Tür.« Willy hatte ein arrogantes Grinsen um die Lippen.
    »Hatten sie ein Auto, oder sind sie mit dem Bus gefahren?« fragte Decker.
    Willy dachte einen Augenblick nach. »Ich glaub, die sind einfach rausgegangen. Ob die nun ein Taxi genommen haben oder in den Bus gesprungen sind?« Er zuckte die Achseln.
    »Hatten sie viel Gepäck?«
    »Jeder hatte einen mittelgroßen Koffer. Nichts, womit sie nicht ein paar Blocks hätten zu Fuß gehen können.«
    »Haben Sie zufällig auf das Alter von dem jüngeren geachtet?«
    Willy zuckte mit seinen knochigen Schultern. »Auf seinem Ausweis stand achtzehn …«
    »Na hören Sie mal, Clint. So schlecht können Ihre Augen doch gar nicht sein.«
    »Hab schon gedacht, daß der Junge eher wie sechzehn aussah …«
    »Sagen wir vierzehn.«
    »Nein!« Willy holte hastig Luft. »Wie vierzehn sah er auf keinen Fall aus. Dafür war er viel zu groß.«
    »Das nächste Mal fragen Sie nach einem richtigen Ausweis, dann kann man Sie auch nicht wegen irgendwas belangen.«
    »Wegen was belangen?« Willy wurde rot. »Wovon reden Sie? Die haben gesagt, sie wären Brüder. Sie sahen sich ähnlich. Beide dunkel, und beide sprachen mit New Yorker Akzent.«
    »Das waren keine Brüder, Clint«, sagte Decker.
    »Das wußte ich ja nicht. Und wenn es einen Hinweis dafür gegeben hätte, daß die schwul sind, hätt ich sie in den Arsch getreten und rausgeschmissen. Mein Bruder und ich dulden diesen Scheiß nicht. Wenn man anfängt, die Schwulen reinzulassen, schreckt das die normalen Perversen ab. Dann kriegt Otto Normalverbraucher nämlich Panik.« Er fing schallend an zu lachen.
    »Ich red hier von Kindesmißbrauch …«
    »Ich hab Ihnen doch gesagt, der Junge sah aus wie sechzehn, siebzehn. Wir haben hier oft einzelne Männer – ehemalige Häftlinge, die versuchen, sich eine reine Weste zu verschaffen, indem sie in einen anderen Staat ziehen. Manchmal kommen sie auch zu zweit – Kumpel, die sich ein billiges Zimmer mieten. Bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, daß mit den beiden irgendwas nicht stimmen könnte.« Er machte eine Pause. »Läuft denn da irgendwas?«
    Decker ignorierte die Frage und wollte statt dessen wissen: »Unter welchem Namen haben sie sich eingetragen?«
    Der Mann an der Rezeption grinste. »Jedenfalls nicht unter Mr. und Mrs. Smith.«
    Decker wartete.
    Willy räusperte sich und schlug das Gästebuch auf. »Sie haben sich unter den Namen Mr. Hank

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