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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Schreibtischschublade. »Das ist unser Freund, Hersh Schaltz, von der Kamera eingefangen.«
    Marge nahm die Bilder in die Hand. Fotos von der siebten Klasse einer Schule in Williamsburg. Eine Gruppenaufnahme – alle Jungen trugen schwarze Mäntel, Schlapphüte, weiße Hemden und Krawatten. Bei keinem von ihnen konnte man die Haare sehen, aber alle hatten sie diese merkwürdigen langen Schläfenlocken. Hersh wirkte grimmig, aber das war in diesem Meer von ernsten Gesichtern nichts Ungewöhnliches. Auffällig hingegen waren seine eingefallenen Wangen – kein Gramm Fett in dem hageren Gesicht.
    Dann sah sie sich das nächste Bild an. Ein Foto aus der zehnten Klasse der High-School, einer öffentlichen Schule. Die dunkle Kleidung war verschwunden. Hersh trug jetzt ein Def-Leppard-T-Shirt, die kurzen Ärmel spannten sich um seine muskulösen Arme. Er hatte immer noch ein hageres Gesicht, doch der hungrige Ausdruck schien eher eine Pose als eine Folge mangelnder Ernährung. Er wollte wohl cool wirken.
    »Hat Hersh den High-School-Abschluß gemacht?« fragte sie.
    »Ich hab keine Unterlagen darüber gefunden«, sagte Decker.
    Marge betrachtete das Foto noch mal, besonders Hershs Gesichtsausdruck. Ziemlich beängstigend, vor allem das unheimliche Grinsen. Dann sah sie die übrigen Fotos durch. Immer wieder dieses hagere Gesicht, das gleiche verrückte Grinsen, der arrogante Ausdruck in den Augen.
    »Ein echtes Schätzchen«, sagte sie. »Hast du auch welche von Noam?«
    Decker gab ihr die Schulfotos von Noam. »Irgendwie sieht der auch ziemlich überheblich aus«, sagte sie.
    »Yep.«
    »Aber es ist eher so eine pubertäre Überheblichkeit«, sagte Marge. »Ein Junge, der cool aussehen will.«
    Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, schloß das Aktenfach auf und nahm einen Ordner heraus. »Ich hab ganz von vorn angefangen, bei den Mietwagenfirmen am Flughafen. Sicher ist, daß niemand namens Schaltz oder Stewart oder Stremmer et cetera einen Wagen am Flughafen gemietet hat.«
    »Vielleicht hat er seinen Namen schon wieder geändert.«
    »Schon möglich«, sagte Marge. »Die Angestellten, mit denen ich gesprochen habe, sehen Tausende von Leuten. Niemand kann sich an ihn erinnern – oder an ihn mit einem Jungen in Noams Alter. Wenn sie dort waren, sind sie im Betrieb untergegangen. Ich hab mich auch mit Leuten von diversen Buslinien unterhalten und mit so vielen Taxifahrern, wie ich erwischen konnte. Auch nichts. Einfach zu viele Menschen.«
    Decker nickte.
    Marge nahm ein Blatt Papier heraus und drehte es um. »Ich hab bei den Kollegen in Hollywood angerufen und sie gebeten, die Augen offenzuhalten. Gestern abend hab ich die billigen Motels auf dem Strip abgeklappert und auch die Obdachlosenunterkünfte. Nichts.«
    Also waren sie wieder da, wo sie angefangen hatten, dachte Decker. Diesmal ohne Freunde, die irgendwelche Anhaltspunkte geben konnten. Doch zumindest kannte er Los Angeles und wußte, wo sich lichtscheues Gesindel versteckte.
    »Bist du gestern abend noch dazu gekommen, dich in Westwood Village umzusehen?« fragte Decker. »Da hängen die Kids jetzt scharenweise rum.«
    »Hab ich nicht mehr geschafft«, sagte Marge.
    »Dann mach ich’s.«
    »Hey, ich hab doch Zeit. Ich leiste dir Gesellschaft, wenn du willst.« Sie dachte an Rina. »Weißt du, ich kann’s auch alleine machen, Pete …«
    »Kommt überhaupt nicht in Frage.«
    »Du bleibst bei Rina.«
    Decker schüttelte den Kopf. »Ihr macht das nichts aus. Schließlich hat sie mich ja in diesen Schlamassel hineingezogen.«
    Eine bequeme Lüge.
    »Ich seh zu, daß du nicht zu spät nach Hause kommst«, sagte Marge.
    »Du bist ein Schatz.«
    »Ich hol dich gegen acht Uhr ab. Was hast du bis dahin vor?«
    »Ich hab da so ein paar Ideen«, sagte Decker. »Könnt ja vielleicht sein, daß sie sich in der Nähe von Disneyland niedergelassen haben. Du weißt schon, Kids auf einem Abenteuertrip. Disneyland könnte für beide große Anziehungskraft haben.«
    »Klingt ganz plausibel«, sagte Marge.
    »Ich fahr gleich mal nach Anaheim raus. Vorher hol ich Rina ab, dann kann sie mir auf der langen Fahrt Gesellschaft leisten.«
    »Dir ist wohl jeder Vorwand recht, um das Magic Kingdom zu sehen, was?«
    »Mir ist jeder Vorwand recht, um mit Rina zusammen zu sein«, entgegnete Decker. »Mir ist allerdings noch was anderes eingefallen. Hersh/Hank und Noam/Nolan sind beziehungsweise waren beide religiöse Juden. Besonders Noam könnte Heimweh kriegen und in eine Gegend laufen,

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