Tag der Entscheidung
Sänftenträger zum Schwitzen brachte, saß der Lord der Anasati bequem auf seinen Kissen, etliche Schriftrollen geöffnet auf den Oberschenkeln. Er hatte sich das Schwert zwischen die Beine geklemmt, und dessen Griff hinderte den Stapel daran herunterzufallen.
Neben der Sänfte schritt sein Erster Berater Chumaka, groß und schlank wie ein Jagdhund. Er war so ausdauernd wie jeder Krieger, und die Anstrengung schien ihm nichts auszumachen. Immer wieder antwortete er auf die seltenen und unregelmäßigen Fragen seines Herrn, die deutlich von den langwierigen und anstrengenden Abhandlungen über das Kaiserliche Recht in den Schriftrollen abwichen.
»Ich traue den Shinzawai nicht«, zischte Jiro ohne konkreten Anlaß. »Hokanus Bruder Kasumi kämpfte viele Jahre in der barbarischen Welt, was zu der Intrige des Blauen Rades gehörte, den Kriegsherrn zu schwächen. Und auch Hokanu selbst wurde von den ehrlosen Schlichen der Midkemier beeinflußt.«
Chumaka warf seinem Herrn einen eindringlichen Blick zu und sagte eine unangenehme Weile lang gar nichts. Jiro begriff plötzlich: Als könnte er Gedanken lesen, wußte sein Erster Berater, daß er an Tasaio von den Minwanabi dachte, der einst ein hervorragender General gewesen war. Mara war es gelungen, seine Armee mit einer unerwarteten Taktik vernichtend zu schlagen – einer Taktik, die durch den Rat eines midkemischen Sklaven zustande gekommen war. Ganz zu schweigen davon, daß das Haus Minwanabi nicht länger existierte. Doch es war nicht nötig, an bestehenden Ängsten zu rühren, damit sich ihr Funke in eine Flamme verwandelte. Gerade noch rechtzeitig vor einem Tadel ergriff Chumaka das Wort. »Mylord, Eure Männer haben alles Menschenmögliche getan, um Euren Erfolg zu gewährleisten. Die weitere Entwicklung müssen wir dem Schicksal, dem Glück und dem Willen der Götter überlassen. Ihr werdet den Goldenen Thron erklimmen oder nicht, ganz wie die Götter es wollen.«
Jiro lehnte sich in den Kissen zurück; die Rüstung zwickte etwas, und er verlagerte sein Gewicht. Er war kein eitler Mann, doch er wußte um die Macht der Ausstrahlung. Wie jeder Künstler hatte er einen ausgeprägten Geschmack, was seine Kleidung anging, und eine leichte Seidenrobe im Rot der Anasati mit gestickten Gaganjan-Blumen auf den Manschetten wäre ihm viel lieber gewesen. Doch seit Ichindars Ermordung wagte es kein Edler, ohne Rüstung auf die Straße zu gehen. Es ärgerte Jiro auch, daß Chumaka recht hatte; doch er weigerte sich zuzugeben, wie recht. Er hatte jeden Bericht gehört, alle Ratsversammlungen geleitet. Er wußte, was über die Truppenbewegungen des Feindes gesagt wurde.
Es waren gute Neuigkeiten.
Hokanu von den Shinzawai befand sich noch immer zwei Tagesmärsche nördlich von Kentosani, während der Lord der Anasati mit seinem Gefolge vermutlich bereits am späten Nachmittag durch die großen Tore hindurchschreiten würde, ganz sicher aber noch vor Sonnenuntergang. Immer wieder versuchte er sich im stillen zu beruhigen: daß er die Heilige Stadt erreichen würde, ohne von Maras Verbündeten herausgefordert zu werden; daß die Shinzawai, wenn sie einträfen, erschöpft sein würden; daß die Magier von den Acoma beleidigt worden waren, als sie die Armee der Anasati im Süden angegriffen hatten. Die Magier hatten ihre Aufmerksamkeit ganz auf Mara gerichtet und beachteten den Lord der Anasati nicht weiter, der sich ganz den Anschein gab, als gehorche er ihren Befehlen.
Jiros Hand krampfte sich um die Buchrolle in seinem Schoß. Er zuckte beim Knistern der trockenen Blätter zusammen und fluchte verärgert darüber, daß die Anspannung ihn dazu gebracht hatte, die alten Berichte zu beschädigen. Mit leichtem Stirnrunzeln glättete er das aus alten Häuten bestehende Papier, dessen Tinte bereits verblaßt war. Derweil schien Chumaka erneut seine Gedanken zu erforschen.
»Ihr habt Euch mit der Nachricht beschäftigt, die gestern abend von der Taube gebracht wurde«, stellte der Erste Berater scheinbar beiläufig fest. Jiro wußte es besser. Die scharfen Augen des Mannes richteten sich auf den Weg vor ihnen, als könnte er durch den Staub hindurchsehen, der von der ersten Kompanie der Anasati-Ehrengarde aufgewirbelt wurde. Der Erste Berater schien sich ganz aufs Marschieren zu konzentrieren, doch dann wurde er plötzlich direkt: »Maras Kommandeur hat einen Angriff begonnen. Mittlerweile wird die Versammlung gehandelt haben. Denkt daran.«
Jiros Lippen zuckten; fast hätte er
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