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Tag der Entscheidung

Tag der Entscheidung

Titel: Tag der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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würde mit Euch ringen, nicht wahr? Narr! Ich legte meine Klinge weg, weil Ihr nicht die Ehre verdient, die einem Krieger zusteht; Ihr habt für die Ermordung meines Vaters gesorgt, also verdient Ihr den Tod eines Hundes.«
    Jiro rang würgend nach Luft. Als er nach einer Bitte um Gnade suchte, schüttelte ihn Hokanu. Nur ein Gedanke entrang sich Jiros Kehle, in einem Flüstern, das fast einem Schluchzen gleichkam: »Er war ein alter Mann.«
    »Er wurde geliebt!« Hokanus Augen blitzten. »Er war mein Vater. Und Euer Leben beschmutzt die Welt, in der er lebte.«
    Hokanu zog Jiro vom Boden hoch, und die Tasche mit den Dokumenten fiel herunter. Der Lord der Shinzawai griff mit einer Hand nach dem Lederriemen. Jiro riß seinen Kopf zurück; vor Panik war sämtliche Würde von ihm gewichen. »Ihr werdet Euch doch wohl nicht mit meinem Tod beflecken, wenn ich ein so armseliges Geschöpf bin.«
    »Nein? Werde ich das nicht?« Die Worte kamen wie ein Knurren, als er den Riemen festzurrte. Jiro spürte das scharfe Brennen der Garrotte um seinen Hals.
    Er strampelte mit den Beinen und kratzte mit den Händen an der blauen Rüstung, bis seine Fingernägel brachen. Sein Kopf ruckte hin und her. Speichel troff von den zuckenden Lippen, und seine Augäpfel traten hervor. Die ganze Ehrlosigkeit seines Todes kam ihm in den Sinn, und er fuchtelte verzweifelt mit den Armen und trat mit den Füßen um sich, als sein Gesicht sich scharlachrot verfärbte.
    Doch Hokanu war ein kampferprobter Soldat, der niemals seine Übungen vernachlässigt hatte. Er drückte Jiro mit einem Haß zu Boden, der kein Erbarmen kannte, sondern sein Blut in so sinnlose Wallung brachte wie die Flut die See. Um ihres verlorenen Kindes und seines toten Vaters willen zog Hokanu den Riemen fester, während Jiros Gesichtsfarbe erst dunkelrot wurde, dann violett, schließlich blau. Er hielt den Riemen noch immer fest, als Jiros Körper längst erschlafft war. Das Leder schnitt tief in Haut, Luftröhre und Fleisch. Keuchend und bebend zerrte Hokanu immer noch an dem Riemen, als ein Befehlshaber der Shinzawai seinen Herrn über dem gefallenen Feind fand. Es brauchte starke Hände, um ihn von der Leiche zu trennen.
    Mit leeren Händen sank Hokanu auf den laubbedeckten Boden. Er bedeckte sein Gesicht mit blutigen Fingern. »Es ist vollbracht, mein Vater«, sagte er mit einer vor Gefühl heiseren Stimme. »Und durch meine Hand allein. Der Hund ist erwürgt worden.«
    Der Befehlshaber wartete geduldig. Er diente schon viele Jahre und kannte seinen Herrn gut. Als er die Dokumententasche um Jiros Hals sah, entnahm er den Inhalt, denn er vermutete, daß sein Herr ihn später, wenn er wieder bei klarem Bewußtsein war, durchsehen wollte.
    Nach einer Weile hörte Hokanu auf zu zittern. Er erhob sich, den Blick immer noch auf seine Hände gerichtet. Sein Gesichtsausdruck war leer. Dann, als wären seine Hände lediglich von Schmutz verdreckt und der tote Körper in der roten Rüstung, der verrenkt vor ihm dalag, nichts weiter als erlegtes Wild, drehte er sich um und schritt davon.
    Der Befehlshaber folgte seinem Herrn. Er rief seinen Kameraden, die auf der Straße in kleine Gefechte verwickelt waren, zu: »Verkündet es überall! Jiro von den Anasati ist tot! Der Tag gehört uns! Shinzawai!«
    Wie Feuer in einem trockenen Feld verbreitete sich die Nachricht von Jiros Tod unter den Kämpfenden. Auch Chumaka, der neben der umgeworfenen Sänfte stand, hörte es. »Der Anasati-Lord ist gefallen! Jiro ist tot!«
    Für einen Augenblick betrachtete der Erste Berater der Anasati die verteilten Pergamentrollen um sich herum und dachte an das andere Dokument, das Jiro um den Hals trug. Was würde geschehen, wenn man es fand? Er seufzte. »Narr«, murmelte Chumaka. »Feige genug wegzulaufen, aber nicht, sich zu verstecken.« Dann zuckte er mit den Schultern. Omelo erhob sich, Blut tropfte aus einer Schädelwunde über die Wange. Er sah immer noch kampfbereit aus, so stolz wie immer, abgesehen davon, daß seine Augen ihren Glanz verloren hatten. Er blickte den Ersten Berater an. »Wer ist übrig?«
    Chumaka betrachtete die zerschlagenen Reste von Jiros Ehrengarde, die Lebenden wie die Toten. Kaum mehr als zwanzig von den einhundert Kriegern standen noch. Eine ehrenvolle Anzahl gegen Pferde, dachte er grübelnd. Er widerstand dem starken Wunsch, sich zu setzen; er konnte nicht trauern. Er wurde nicht von Liebe getrieben. Pflicht war Pflicht, und sein Stolz war es gewesen, die Feinde der

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