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Tag der Entscheidung

Tag der Entscheidung

Titel: Tag der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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Flucht vor meinem Vater und meinen Brüdern. Er hat mich noch nicht ein einziges Mal im Zorn angefaßt. Wir sind ein Volk großer Drohungen und Beschimpfungen, Mara. Prahlen ist hierzulande eine Kunst, und eine gutplazierte Beschimpfung bringt eher die Bewunderung des beleidigten Mannes als seine Verachtung.«
    Sie hielt inne, während ein Junge in einem gewebten Wollkittel mit einem Tablett zum Tisch kam. Mirana wechselte die Sprache und bestellte heißen Apfelmost und warmes Gebäck. Dann, als sie die dunklen Ringe unter Maras Augen sah, bat sie auch um Wein. Der Junge nahm drei durchstochene Holzstücke, die als Münzen dienten, von Mirana entgegen und flitzte davon. Er schaute über die Schulter zurück, als er glaubte, daß die Frau des Häuptlings nicht zu ihm herschaute, um Maras ausländische Kleidung anzustarren.
    Mirana füllte die Pause mit Geplauder, bis der Junge mit dem Essen und den Getränken zurückkam. Mara tat so, als würde sie essen. Ihre Anspannung verhinderte, daß sie Hunger verspürte, obwohl das krosse braune Brot wunderbar roch und das Getränk ganz und gar nicht der saure Wein war, von dem die tsuranischen Veteranen aus dem thurilischen Krieg berichtet hatten.
    Draußen auf den Straßen breitete sich die Dunkelheit aus. Eine Gruppe junger Mädchen zog schnatternd vorbei, beaufsichtigt von jungen Männern, möglicherweise Dienern oder Brüdern, die ihnen mit qualmenden Laternen den Weg beleuchteten. Auf der anderen Seite der großen Tische schabte der Bäckerjunge die Ofen aus, und die Kohlen darunter überzogen sich mit einem grauen Film aus Asche.
    Der Wein erwärmte Mara, aber ihre Hände waren feucht vor Sorge, und sie war unruhig. Wo war Kamlio, während sie diese überflüssige Unterhaltung führte? Was geschah mit Saric, Lujan und den anderen Kriegern? Und hatte Hokanu überhaupt eine Ahnung, wohin sie gegangen war, seit sie das Anwesen der Acoma verlassen hatte, um Turakamus Tempel einen Besuch abzustatten? Ihre Abreise kam ihr jetzt wie ein Traum vor, so weit weg erschienen ihr die Angelegenheiten des Kaiserreiches an diesem Ort mit den lauten, großspurigen Männern und dem wolkenbehangenen Hochland.
    »Warum wollt Ihr hier nach Magiern suchen?« fragte Mirana mit einer plötzlichen, irritierenden Direktheit.
    Mara erschrak und ließ beinahe den irdenen Becher mit den letzten Tropfen fallen. Die oberflächliche Unterhaltung, spürte sie plötzlich, war nur ein Vorwand gewesen, um den rechten Augenblick abzuwarten. Sie hatte keinen Grund mehr, die Wahrheit zu verbergen. »Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, daß die Versammlung der Magier die Kultur des Kaiserreiches fest im Griff hat. Unsere Traditionen bewahren jedoch Ungerechtigkeiten, die ich gerne ändern möchte. Obwohl die Magier den Acoma und den Anasati wegen einer Fehde strikte Zurückhaltung auferlegt haben, werden die beiden Seiten nicht gleich behandelt. Sie hinderten die Anasati nicht daran, Attentate auf Verbündete meines Hauses ausführen zu lassen; traurigerweise starb auf diese Weise der Vater meines Mannes. Das Verbot, Rache zu üben, erweist sich jetzt als Vorwand, als Entschuldigung dafür, die wahren Ziele zu verbergen. Ich strebe Veränderungen an, gegen den Wunsch der Versammlung, und deshalb sind meine Kinder und ich in Gefahr.«
    »Dann entstammen diese hehren Ziele also wirklich nur dem Bedürfnis zu überleben?«
    Mara blickte die alte Frau eingehend an und erkannte, daß sie einen ebenso scharfen Geist hatte wie Lady Isashani. »Vielleicht. Ich würde gerne glauben, daß ich den richtigen Weg zur Verfolgung der Interessen meiner Landsleute auch dann beschritten hätte, wenn mein eigenes Haus und meine Familie nicht in Gefahr wären –«
    »Ihr habt das Kaiserreich verlassen und Euch an die Thuril gewandt«, unterbrach Mirana. »Warum?«
    Mara spielte nervös mit dem fast leeren Becher. »Die Cho-ja gaben mir einige rätselhafte Andeutungen, die nach Osten deuteten. Auch ein Magier von niederem Rang, der voller Bitterkeit gegen die Versammlung war, sprach sich dafür aus, hier nach Antworten zu suchen. Ich bin nach Thuril gereist, weil mein Geschlecht sterben wird, wenn ich keine Antworten finde, und weil ich zuviel Elend im Namen der Politik und des Spiels gesehen habe – viele Menschen, die ich liebte, sind jetzt wegen unserer Gier nach Macht in den Hallen des Roten Gottes. Wenn der Versammlung gestattet wird, den Kaiser zu übergehen und das Amt des Kriegsherrn wieder einzuführen, werden

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