Tag der Entscheidung
»Gesegnet seist du«, murmelte sie und nickte der Zofe dankbar zu, die ihr einen Becher kaltes Wasser reichte. Niemals wieder würde sie einen solchen Dienst als selbstverständlich nehmen.
Kamlio löste eine weitere Schnalle und merkte, wie Mara zusammenzuckte. »Blasen, Lady?«
Mara nickte kläglich. »Überall. Als könnte meine Haut nicht schnell genug Schwielen bekommen.« Sie legte die offizielle Kleidung als Clanlady des Hadama-Clans nur selten an, doch jetzt war sie mehr denn je auf die sichtbaren Zeichen ihres Ranges und Amtes angewiesen. Sie befand sich auf dem Schlachtfeld, befehligte Truppen und herrschte über eine Allianz, wie sie in der jüngeren Geschichte noch nie dagewesen war. Ob es Truppen unter den Bannern hundert verschiedener kleiner Häuser waren oder ihre eigenen Streitkräfte, die unter der Standarte ihres Clans marschierten – zusammen zählten sie rund siebzigtausend Mann, ziemlich genau die Hälfte aller Streitkräfte des Kaiserreiches. Das Leben all dieser Menschen oblag ihrer Verantwortung.
Dieser Krieg ist zu schnell gekommen! wütete sie innerlich, während Kamlio mit den Beinschienen und der Brustplatte beschäftigt war. Armeen hatten sich versammelt, bevor sie auch nur Zeit gehabt hatte, einen einzigen Plan zu schmieden oder eine Beratung zwischen Keyoke und den Cho-ja-Magiern aus Chakaha in die Wege zu leiten. Ichindar war ermordet worden, während die für einen Sieg nötigen einzelnen Elemente bereits zum Greifen nahe gewesen waren – aber noch bevor sie hatte feststellen können, wie sie sie am sinnvollsten einsetzen konnte.
Kamlio hatte gerade Maras Brustplatte entfernt, da ertönten Schritte außerhalb des Zeltes. Als ihr der schwere verzierte Helm mit den Federn und Wangenplatten abgenommen wurde, schloß Mara müde die Augen. Sie strich die Haare zurück, die ihr in feuchten Strähnen an Stirn und Nacken klebten. »Öffne die Zeltklappe«, befahl sie ihrer Zofe. »Wenn Lujan schon wieder zurückkehrt, verheißt das nichts Gutes.«
Die Zofe schob das Needra-Fell am Eingang beiseite, während Kamlio nach Erfrischungen und Tassen suchte. Die Krieger waren seit Tagesanbruch im Feld, und welcher Offizier es auch war, der jetzt gleich Bericht erstatten würde, er mußte hungrig und durstig sein.
Ein Schatten schob sich ins Licht, umweht von einer dahintreibenden Rauchfahne. Mara zwinkerte kurz mit den brennenden Augen und erkannte den Federbusch ihres Kommandeurs, der mit der Faust über dem Herzen salutierte. Sie mußte sehr besorgt ausgesehen haben, denn sein Mund verzog sich sofort zu einem beruhigenden Lächeln; hell und lebendig blitzten die Zähne in seinem rußverschmierten Gesicht.
»Lady, die Zanwai und Sajaio sind auf der Flucht. Der Tag gehört uns. Wenn man sich über einen armseligen Streifen Ngaggi-Sumpf und die Asche einiger Zelte freuen kann und über sechs Bastarde von Kriegshunden, die sich auf alles stürzen, was sich bewegt – eines der Opfer war der Hundeführer –, dann freut Euch. Der Truppenteil, der einen geordneten Rückzug versuchte, wurde schnell aufgespürt – hauptsächlich, weil der befehlshabende Offizier wenig mehr Hirn im Kopf hatte als die Hunde der Sajaio.«
Mara betrachtete den Himmel, der grau vom vielen Rauch war. Ihre Worte klangen bitter. »Wie lange müssen wir noch hier in dieser Verteidigungsstellung hocken und die Streitmacht der Anasati im Südosten von Sulan-Qu festhalten?« Es ärgerte sie zu wissen, daß Jiro irgendwo im Norden andere Streitkräfte versteckt hatte. Jeden Tag erwartete sie die Nachricht, daß die Heilige Stadt belagert wurde. Die Armee der Shinzawai befand sich zwar unter Hokanu auf dem Marsch, doch da sie noch einige Tage von Silmani und dem Gagajin entfernt war, konnte sie nichts anderes tun, als sich auf die Pläne des Spielzeugmachers und die Maschinenbauer zu verlassen, die sie losgeschickt hatte, um Jiros Operationen zu behindern. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als Nacht für Nacht wachzuliegen und zu beten, daß ihre sorgfältig geplante Sabotage auch funktionierte, daß tatsächlich in dem Augenblick, da Jiro mit seinen großen Maschinen versuchen würde, die Mauern zu zerstören, der Mechanismus fehlschlagen und ein Desaster angerichtet werden würde.
Die Cho-ja-Magier konnten in diesem Krieg nicht helfen. Ihre Magie mußte bis zum letzten, verzweifelten Augenblick, wenn die Versammlung schließlich handelte, ein Geheimnis bleiben – da verschiedene miteinander im Streit liegende
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