Tag der geschlossenen Tür
dem schwarzen Ziffernblatt sieht die auch megageil aus.«
»Find ich auch, so was steht dir doch immer.«
»Kostet aber zweifünf.«
»Hol sie dir doch, die andere trägst du doch sowieso nicht mehr.«
»Geiles Teil, megageil! Die geht in tausend Jahren nur eine Sekunde falsch!«
»Unglaublich. Echt?«
»Ja logisch, das ist ’ne Omega, check das mal.«
»Und wer will das nachprüfen? Solange lebst du doch gar nicht …«
Die beiden werfen sich einen unglaublich hohlen Blick zu, ihrer ist fragend, seiner genervt, dann bemerken sie, dass ich neben ihnen stehe. Abrupt beendet er das Gespräch und drängt sie weiter.
Auch ich schreite voran. Frauen kleben an Scheiben von Schuhläden. Ist das das Innerste, worauf man uns reduzieren kann in diesen Zeiten? Männer auf Technik und Frauen auf Schmuckwerk? Die Konsumenten sind sehr beschäftigt mit dem Beobachten der Waren, die Möglichkeit des Besitzens lässt sie in einen Rausch verfallen, sie horchen ganz tief in sich selbst hinein, achten auf die innere Stimme, die ihnen sagt, was ihnen noch fehlt, was zu ihnen gehören könnte. Psychologischer Fachterminus: shoppen. Ein wirklich hässliches Wort. Ich war heut shoppen. Eine Zustandsbeschreibung wie eine Krankheit.
Mir fällt auf, dass die Frauen in der Innenstadt beim Verlassen von Geschäften besonders rücksichtslos sind. Sobald sie ihre Gelüste und Bedürfnisse befriedigt haben und auf den Bürgersteig treten, achten sie auf nichts und niemanden mehr. Sie scheinen wie betäubt, haben eine sinnvolle Verwaltung des öffentlichen Raums gänzlich aufgegeben und erwarten von den anderen Konsumenten Rücksicht. Mit Tüten und Objekten beladen, wanken sie zu ihren kleinen, schicken Autos, um diese zu füllen und die Beute in ihre teuren Höhlen zu transportieren. Absicherungsmethoden. Gier als Lebensprinzip kennt nach oben keine Grenzen, es gibt nie genug, man kann sich nie endgültig abgesichert fühlen. Mehr fühlt sich immer gut an. Mit mehr machst du nie was falsch. Herr, lass es mehr werden.
Ich komme zum O2-Laden. Marion Vossreuther steht wie immer hinter dem Tresen und starrt auf den Flatscreen vor sich. Den ganzen Tag steht sie vor diesem Flatscreen und hat den Blick wie eine Angel in die Leere des Netzes getaucht. Ein Kunde steht vor ihr und wartet geduldig. Schließlich findet sie, wonach sie sucht, und preist es ihm mit einem Lächeln an. Wie schön dieses kleine professionelle Lächeln ist. Ich wünschte, sie würde mich die ganze Zeit professionell anlächeln.
Jeden Tag würde ich einen neuen Vertrag bei Dir abschließen, nur um dieses antrainierte Lächeln zu bekommen. Marion, willst Du nicht mich gegen O2 eintauschen? Was bietet Dir O2, was ich Dir nicht bieten könnte? Geht es um Absicherung und Versorgung? Ich gebe zu, darin ist O2 besser als ich. Aber auch nur so lange, wie sie Dich brauchen, danach lassen sie Dich fallen. Redet O2 mit Dir über Kunst und Politik? Betrinkt sich O2 mit Dir und klaut Lebensmittel? Kann Dich O2 sexuell zufriedenstellen? Ist O2 zärtlich zu Dir, küsst und massiert Dich, befriedigt Dich, bis Du nicht mehr magst? Nein, nein, nein. O2 kann sich in allen wichtigen Bereichen des Lebens nicht mit mir messen. Bedenke das, Marion, wenn Du Dich endgültig entscheidest.
Ich gehe weiter. Neben einer Telefonzelle sitzt auf dem Boden ein Hütchenspieler, ein Südländer, vor ihm hocken zwei ebenfalls südländisch wirkende Männer, sie reden aufgeregt aufeinander ein, einer weist wiederholt mit dem Finger auf die Streichholzschachtel vor ihnen, sie ist ganz leicht angehoben, und man sieht darunter die Kugel, um die es geht. Einer der beiden Wettenden zeigt nun entschlossen auf die Schachtel und sagt laut: »Disser! Disser da!« Der Hütchenspieler hebt die Schachtel, schaut etwas dumpf und gibt dann dem Wettenden einige Geldscheine. Der Gewinner schaut mich triumphierend an. Erneut beginnt der Spieler, die Kugel unter den Schachteln wandern zu lassen, immer weiter schiebt er sie, und jedes Mal kann man genau sehen, wo sie landet. Schließlich bleibt sie unter einer Schachtel liegen, und wieder ist der Deckel leicht angehoben. Der Gewinner von eben schaut mich aufmunternd an, als wollte er sagen: »Bitte, bedien dich, so leicht ist das!«
Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Ich ziehe einen Zehner aus meiner Hosentasche und weise mit dem Finger auf die Schachtel. Der Spieler nimmt mir den Zehner aus der Hand und hebt den Deckel. Die Kugel ist weg. Wo ist sie geblieben?
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