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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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abschicken? Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass du darauf reagieren wirst. Bin ich zu direkt? Bin ich zu forsch? Dass auch du einsam bist, darüber besteht für mich kein Zweifel. Aber ob du ausgerechnet einen wie mich willst, das bleibt festzustellen. Ich werde die richtigen Worte finden. Marion.

Lawinen der Schuld
     
    I ch wohne bereits sehr lange in dieser Wohnung. Schon über fünfzehn Jahre. Zwar war ich zwischendurch ein paar Jahre verzogen, untergebracht bei einer Frau und ihren Kindern, aber ich bin zurückgekommen, als sie mich nicht mehr wollte. Irgendwann stellte sie fest, dass es egal ist, ob ich da bin oder nicht. Dass es teurer ist, wenn ich da bin. Und trotzdem nicht aufregender oder abgerundeter oder schöner. An diesem Tag, nach etwa vier gemeinsamen Jahren, teilte sie mir emotionslos mit, dass es jetzt für mich Zeit sei, dahin zurückzugehen, wo ich hergekommen sei. In das Land des Pfeffers.
    Das verstand ich und ging.
    Ab und zu sitze ich vor meiner Fotokiste und sehe mir Bilder aus unserer gemeinsamen Zeit an. Ihre Kinder nicht sehen zu können gibt mir einen Stich ins Herz. Ich fühle mich schuldig dafür, dass ich nicht für sie da sein kann. Dass ich einfach weg bin. Dass ich ihnen genommen wurde. Dass ich mich ihnen genommen habe. Dass sie traurig sind, weil ich nicht da bin. Dass sie sich fragen, warum ich gegangen bin. Dass sie ohne mich aufwachsen werden. Dass ich die erste große Enttäuschung in ihrem Leben gewesen sein werde. Dass sie später mit ihren Psychologen über mein Verhalten und mein Verschwinden reden werden müssen. Dass sie mir später die Schuld werden zuweisen müssen, für die Verlustängste, die sie haben. Hätte ich diese Lawine aus Schuld erahnt, ich wäre an dem Abend, an dem ich ihre Mutter kennengelernt habe, nicht ausgegangen. Leute wie ich dürfen mit den Grundmechanismen des Lebens, mit der Reproduktion, mit Familiengründung, mit der Versorgung eines Stammes, mit der Verantwortung und dem ganzen Rattenschwanz nichts zu tun bekommen, da bleiben sonst nur Leid und Elend zurück. Leute wie ich, die an ihrem eigenen Leben zweifeln, die am Leben überhaupt zweifeln, dürfen nicht auf das Leben anderer losgelassen werden, ihre Pflugscharen des Zweifels hinterlassen ungerade Brüche und nässende Wunden.
    Nach dieser Erfahrung habe ich beschlossen, mich nie wieder in familiäre Verhältnisse einzumischen oder gar hineinzubegeben, meine desaströse Veranlagung würde nur Unheil anrichten. Meine amourösen Begegnungen müssen idealerweise zeitlich beschränkt und von unverbindlicher Natur sein, damit weder ich noch irgendjemand anderes durch mein Verhalten ins Trudeln gerät. Das ist mein Verständnis von Seriosität. Kurze, beglückende, erotische Intermezzi und ein klares Ende vor den unendlichen Umschlingungen, Verknotungen, Zerfaserungen, Durchwühlungen, Verzerrungen, Durchdringungen, Zerfetzungen und Erdrosselungen der Liebe. Feigheit? Wie mir Frauen immer wieder vorwerfen, um mich zu provozieren, um mich unter Druck zu setzen und mich an die Kandare zu legen. Auf keinen Fall. Eher Aufgeräumtheit. Ich warne zu Recht vor mir. Auch ich sehne mich nach Verbindlichkeit, nach Wärme und Geborgenheit. Aber sobald der Alltag sein graues Medusenhaupt erhebt, erstarre ich vor Schreck und lasse alle Sehnsüchte fahren. In diesem Zustand tue ich niemandem gut, in diesem Zustand sitze ich am besten zu Hause vor einem kleinen Produktstapel, und die Zeit und die Welt ziehen blind an mir vorbei, ohne mich zu bemerken.
    Lasst mich abwesend sein, dann verschone ich auch euch.

Leben auf Pump
     
    A m Montag hole ich Geld von der Bank. Neues Geld,
Monatsanfangsgeld. Dispo endlich auf null. Andere haben Angst davor, eine glatte Null auf dem Konto zu haben, ich bin glücklich darüber. Weil ich ja sonst immer nur im Minus bin. Auf null zu sein heißt für mich, wohlhabend zu sein. Ein Leben auf Pump. Danach fühle ich mich, als wäre ich wieder aufgeladen. Als hätte ich neue Batterien im Rücken. Ich fahre mit der S-Bahn in die Innenstadt und gehe eine große, prächtige Einkaufsstraße entlang. Ich tue so, als könnte ich mir irgendwas von dem dort Angebotenen leisten. Könnte ich ja auch, nur danach wäre ich direkt wieder abgebrannt. Ich kaufe mir ein Eis und beobachte die Menschen beim Flanieren. Männer klüngeln in Haufen vor einem Uhrenladen herum. Ich schaue mir die Omega-Uhren an. Ein Paar stellt sich neben mich.
     
    »Du, die Seamaster hab ich ja schon, aber mit

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