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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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hinter ihr lief, wurde ihm bewusst, dass er sie nie richtig gesehen hatte. Kommissar Nachum hatte ihm während ihres Gespräches Fotos von ihrem zerschrammten Gesicht gezeigt, um ihn zu erschüttern, mehr nicht. Nun fiel ihm auf, dass sie einfach super aussah. Sie hatte schöne Augen, Haar, das ihr wellenförmig über die Schultern fiel, einen süßen Po. Wären sie sich unter anderen Umständen begegnet, hätte er vielleicht mit ihr geflirtet. Er war sechsundzwanzig und Single. Ab und zu verabredete er sich mit Mädchen über Facebook, einige von ihnen konnte er sogar ins Bett navigieren, doch dort endete es dann. Dori hatte mal zu ihm gesagt, echte Journalisten seien allein der Wahrheit verpflichtet und könnten sich daher nicht auf längere Beziehungen einlassen, denn die beruhten immer auf Lügen. Wer weiß, unter Umständen hatte er recht.
    Adi ging schnell. Gleich würde sie in die Pinkasstraße einbiegen, auf der mehr Leute unterwegs waren, und dann wäre es schwierig, von ihr Informationen zu bekommen.
    »Entschuldigung, einen Moment«, rief er ihr nach.
    Sie drehte sich um und warf ihm einen Blick zu, in dem ein Anflug von Panik lag. Er musste behutsam mit ihr umgehen. In ihrem Zustand war sie zerbrechlich wie Glas.
    »Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Er hatte vor, ihr die Angst zu nehmen, doch es funktionierte nicht. Im Gegenteil. »Ich hab’s eilig …«, sagte sie, machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn stehen.
    »Ich will Ihnen nichts tun«, er blieb hartnäckig, »ich bin Journalist! Ich habe nur einige Fragen …«, rief er ihr nach und legte einen Schritt zu, um mit ihr mitzuhalten.
    Sie blieb nicht stehen. Was hatte sie nur?
    »Ich weiß nicht, ob Sie davon erfahren haben, aber die Polizei und die Staatsanwaltschaft haben sich mit dem Vergewaltiger auf ein Strafmaß geeinigt. Er kommt auf freien Fuß. Ich wollte mit Ihnen reden. Was da läuft, finde ich nicht gut. Die nehmen Sie nicht ernst …« Inzwischen rannte er neben ihr her und japste beim Sprechen.
    Sie waren mittlerweile in der Pinkasstraße. Schnellen Schrittes lief sie weiter Richtung Hauptstraße, der Even Gvirol, sah ihn nicht einmal an.
    »Ich bin auf Ihrer Seite … Ich will, dass dieser Mistkerl hinter Gittern bleibt … und keine schmutzigen Deals mit ihm gemacht werden«, fuhr er fort, flehte sie beinahe an.
    Als sie die Even Gvirol erreichten, blieb sie stehen und schaute ihm zum ersten Mal ins Gesicht. Er versuchte ihren Blick zu lesen. Hatten seine letzten Worte etwas bei ihr bewirkt? Womöglich wusste sie gar nichts von dem Deal.
    »Lassen Sie mich in Ruhe«, zischte sie. »Haben Sie verstanden?«
    Er fasste sie am Arm, um sie aufzuhalten, doch sie machte sich von seinem Griff los und schrie: »Es reicht! Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie mich in Ruhe lassen sollen! Oder nicht?«
    Er bekam einen Schreck. Dass sie ihn anschrie, machte ihn außerdem stutzig. Aus dem Augenwinkel sah er, dass sie von Passanten beäugt wurden.
    »Adi, ich bin auf Ihrer Seite … Wenn meiner Schwester, meiner Freundin passiert wäre, was Ihnen widerfahren ist, würde ich nicht wollen, dass …«
    Sie brach in Tränen aus. Ein Mann, der wie eine Miniatur von Schwarzenegger aussah, legte eine Hand auf seine Schulter.
    »Belästigt dieser Mann Sie?«, fragte er Adi.
    Sie sagte nichts, wich vor ihnen beiden zurück und rannte davon.
    »Lassen Sie die Frau in Ruhe, haben Sie gehört?«, sagte der Mann und ging dann seiner Wege.

23
    Die Sonne blendete Ziv Nevo, als er aus dem Gerichtsgebäude von Tel Aviv trat. Vor einer halben Stunde hatte seine Verhandlung geendet. Richterin Spiegler hatte der Vereinbarung über das Strafmaß zugestimmt. Rosen hatte ihn auf Eventualitäten vorbereitet, doch zum Glück war die Sache glatt über die Bühne gegangen. Die Staatsanwältin hatte die Anklage verlesen – eine Fantasiegeschichte ohne Realitätsbezug: Er sollte Adi Regev angegriffen und ihr schwere Verletzungen zugefügt haben. Im Anschluss hatte sein Verteidiger den ganzen Schwindel bestätigt und er ebenfalls. Danach hatte die Richterin ihn müde gefragt – sie schien diese Phrasen bereits öfter heruntergebetet zu haben –, ob er die Tatsachen anerkenne, die Vereinbarung zum Strafmaß nachvollziehen könne, ihm bekannt sei, dass das Gericht nicht dazu verpflichtet sei, sie anzunehmen. »Ja«, »ja«, »ja« hatte er erwidert, so hatte ihn Assaf Rosen instruiert. Die Richterin hatte ihn kaum eines Blicks gewürdigt. Entsprechend seinem Geständnis

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