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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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Dori, sein Redakteur, trieb ihn dazu an, der Polizei keine Ruhe zu lassen.
    Begriffsstutzig war er nicht. Für ihn lag auf der Hand, warum Dori in der Geschichte tiefer graben wollte: Genau solche Storys kurbelten den Verkauf an, denn sie spielten mit der Angst der Frauen, so etwas könne auch ihnen zustoßen. Doch bei allem Respekt, er war nicht auf Erden, um Frauen Angst einzujagen, das war nun wirklich nicht Ziel und Zweck seines Lebens.
    Dass nun merkwürdigerweise ein Strafmaß ausgehandelt worden war, ließ die Sache in anderem Licht erscheinen. Er hatte es mit einer schmutzigen Intrige zu tun, das hatte er im Gespür. Seit dem Gespräch mit »Deep Throat«, der ihm hochexplosives Material zu Korruptionsfällen in der israelischen Polizei in Aussicht gestellt hatte, bekam er nur noch Unsinn auf den Tisch. Womit konnte sich bei der Lokalzeitung schon ein Reporter für Verbrechen und Bildung befassen? Möglicherweise war diese Vereinbarung über das Strafmaß eben seine Gelegenheit. Wegen der Vergewaltigung von Adi Regev hatte er diesen wichtigen Anruf von »Deep Throat« versäumt. Vielleicht sollte es sich nun für ihn auszahlen?
    Er ging zu Dori, um sich mit ihm zu beraten, doch zu seiner Verblüffung blieb Dori gelassen. »Diese Story interessiert mich einen feuchten Kehricht. Im ganzen Staat werden ständig irgendwelche dreckige Deals eingefädelt. Mit dieser Story von der Vergewaltigung sind wir durch, zumindest bis zur nächsten«, sagte er und winkte ihn aus dem Zimmer. Amit hatte bei ihm schon längst alle Hoffnungen begraben, er versuchte gar nicht mehr, seinen Unsinn zu verstehen. Dori war viele Jahre Journalist bei der Zeitung Yedioth gewesen, war aber aus einem unbekannten Grund gefeuert worden. Seitdem saß er als Redakteur einer Lokalzeitung fest. Es gab Leute, die meinten, er hätte etwas mit der Frau vom Chefredakteur gehabt, andere behaupteten, er hätte sich irgendeine Story aus den Fingern gesogen. Richtig wissen tat es keiner.
    Sollte Dori doch denken, was er wollte, er würde jedenfalls in der Sache nicht lockerlassen. Auf sein Gespür war Verlass und das sagte: ausharren. Zu graben würde sich in jedem Fall lohnen. Die Frage war nur, woher er die Informationen beziehen sollte, um herauszufinden, wieso es zu dieser bizarren Vereinbarung gekommen war.
    Auf einmal begriff er. Warum kam er erst jetzt darauf? Dori hatte ihn von Anfang an bearbeitet, mit Adi Regev ein Interview zu führen. Er hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt. Wozu sollte das gut sein? Welchen journalistischen Wert hätte eine solche Reportage? Eine junge Frau, der das Leben ohnehin schon übel mitgespielt hatte, mit Fragen zu malträtieren, damit einige Leserinnen Tränen vergossen und mit der Zunge schnalzten: »Ach je, was für eine Tragödie«?
    Um sich davor zu drücken, hatte er jedes Mal eine andere Ausrede erfunden – er hatte diese Story über die Direktorin eines Elite-Gymnasiums in petto. Sie hatte die Abiturnoten von Schülern verbessert, wenn die Eltern für die Schule gespendet hatten. Oder die Story über den Sohn eines langjährigen Beamten der Stadtverwaltung, der festgenommen worden war, als er sturzbetrunken im Springbrunnen vor dem Büro seines Vaters ein Bad genommen hatte. Solche Geschichten hatte er in Hülle und Fülle.
    Dori hatte ihm für das Interview sogar schon die Fragen vorformuliert: ›Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Täter sahen? Plagen Sie Albträume? Rekonstruieren Sie den Moment, in dem Sie realisierten, dass es Ihnen passiert‹ usw. – Fragen, die ihn lediglich in seinem Beschluss bestärkt hatten, sich nicht an sie zu wenden.
    Doch nun standen die Dinge anders. Mit einem Mal bekam das Interview mit Adi Regev journalistischen Wert. Es war nicht länger eine verkappte Seifenoper.
    * * *
    Sein ganzer Körper war angespannt wie eine Feder, als er sie aus dem Haus kommen sah. Beim Warten hatte er mit sich gehadert, ob er besser nach oben gehen, an ihre Tür klopfen und sich ordnungsgemäß vorstellen solle. Er hatte sich dagegen entschieden. Nach dem, was sie durchgemacht hatte, würde sie ihn gewiss nicht in ihre Wohnung lassen. Als Dori seinerzeit auf das Interview gedrungen hatte, war er ebenfalls der Ansicht gewesen, sie besser damit vor dem Haus zu überraschen.
    Er nagte an der Lippe. Was er da vorhatte, fiel ihm nicht leicht, doch er hatte ein Ziel, das gewaltiger war als sie beide und das zu verfolgen seine Pflicht als Journalist war.
    Während er

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