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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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lastete sie ihm schwerwiegende Körperverletzung an, und dann hörte sie gelangweilt zu, wie Staatsanwältin und Verteidiger mit ihren hohlen Floskeln darlegten, weshalb die Vereinbarung, zu der sie gekommen waren, angemessen war. Im besten Einvernehmen hatte die Richterin die ganze Zeit genickt und die Regelung schließlich angenommen.
    »Das war’s, Sie sind frei. Passen Sie auf sich auf«, hatte Rosen zu ihm gesagt, ihm die Hand gedrückt und war dann mit Blaulicht zu der attraktiven Staatsanwältin geeilt, der Frau mit den grünen Augen und dem langen braunen Haar. Binnen einer halben Stunde war alles vorbei gewesen.
    Rosen hatte ihn darauf vorbereitet, dass diverse Leute vom Fernsehen und der Presse im Saal sein könnten, und ihm befohlen, mit keinem ein Wort zu wechseln. »Das übernehme ich«, hatte er ihm zugesichert. Doch bis auf den Reporter irgendeines Lokalblatts, der auch bei der ersten Verhandlung zur Untersuchungshaft da gewesen war, zeigte niemand Interesse an ihm. Und dessen Fragen wehrten sowohl sein Anwalt als auch die Staatsanwältin demonstrativ ab. Die Vergewaltigung, die vor einiger Zeit Schlagzeilen gemacht hatte, war vergessen.
    Das Publikum im Saal hatte auf den langen braunen Holzbänken vor sich hingedöst. Er hatte sich bei Rosen erkundigt, ob er Adi Regev dort sitzen sähe, doch der verneinte. Was ihr wohl gerade durch den Kopf gehen mochte? Wieso in aller Welt machte sie diesen Zirkus mit? Was hielt sie davon ab, auf die Barrikaden zu gehen? Warum schrie sie nicht laut in den Saal, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging? Der Mann, der sie vergewaltigt hatte, kam mit zwei Jahren Bewährung wegen »schwerer Körperverletzung« davon? Was für ein Witz. Sie tat ihm leid, wie ihm jetzt bewusst wurde.
    Als er ins Freie trat, hörte er seine Mailbox ab. Es war bitter – keiner hatte ihn vermisst. Keiner war zur Gerichtsverhandlung gekommen, keiner holte ihn ab. Obwohl er Gili unwahrscheinlich gern gesehen hätte – es quälte ihn unbändige Sehnsucht –, hatte er Merav einen Besuch in der U-Haft nicht zumuten wollen. Es wäre für alle ein niederschmetterndes Ereignis gewesen. Und von sich aus hätte sie ihm den Gefallen nicht getan, selbstverständlich nicht.
    Er rief sie an. Besetzt. Ihm wurde ein automatischer Rückruf angeboten. Wie gern hätte er jetzt Gili in die Arme geschlossen, ihm einen Kuss gegeben, ihn an sich gedrückt und seinen Duft in sich aufgesogen. Er probierte es noch einmal. Sie antwortete nicht. Musterte ihn aus.
    Soeben war er mit einer unerwartet niedrigen Strafe aus dem Gefängnis entlassen worden, dennoch war er tieftraurig. Zu dem grässlichen Gefühl der Einsamkeit kam Zorn – Zorn auf Merav, die ihm den einzigen Fehler, den er sich in all den Ehejahren geleistet hatte, nicht verzeihen konnte; Zorn auf seinen Bruder, der ihn im Stich ließ, und Zorn auf Faro und Meschulam, für die er nur ein Bauernopfer war. Hätte die Staatsanwaltschaft nicht plötzlich eine andere Strategie verfolgt, hätte er hinter Gittern Schimmel angesetzt wegen eines Verbrechens, das er nicht begangen hatte.
    Er hatte es satt, dass alle, ohne mit der Wimper zu zucken, auf ihm herumtrampelten. Er musste die Dinge ändern, etwas Dramatisches unternehmen, damit das Leben wieder gut zu ihm wäre. Doch was? Er wusste es nicht.
    Kurz vorm Überqueren der Straße zuckte er zusammen, als ein schwarzer Wagen neben ihm hielt. Me’ir, der Tätowierte, der ihn in Abu Kabir fast erwürgt hätte, steckte den Kopf aus dem Fenster und sagte in aller Seelenruhe: »Steig ein.«
    Erst im Wagen bemerkte er, dass hinten jemand saß. Meschulam. Seit der Sache mit der Sprengladung hatte er ihn nicht wieder gesehen, er erschien ihm jetzt kräftiger und bedrohlicher.
    »Du bist also auf freiem Fuß …«, raunte Meschulam ihm zu.
    Ziv wusste darauf nichts zu sagen.
    »Was soll das, kommen Vergewaltiger nicht mehr in den Knast?«, grinste Meschulam.
    Erst jetzt begriff er, was hier abging. Faro war garantiert der Überzeugung, er hätte ihn wegen einer Strafmilderung verraten und sich mit der Polizei auf einen Deal geeinigt. Welche andere Erklärung konnte es dafür geben, dass er mehreren Jahren Gefängnis entgangen war?
    Ich Idiot!, schoss es ihm durch den Kopf. Wieso war er nicht früher darauf gekommen? Als Assaf Rosen ihn informiert hatte, dass eine Einigung zum Strafmaß erzielt worden sei, hatte er sich gefreut. Sieh einer an, alles regelte sich, er hatte nichts preisgegeben, eine geringe Strafe

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