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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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abzuhalten, der sich unerlaubt entfernt hatte. Da der Kommandeur beschäftigt gewesen war, hatte er im Büro gewartet und ihr von dem Soldaten erzählt, der sich seit dem Tod seines Vaters zwar hin und wieder eigenmächtig entferne, jedoch immer zurückkomme. Wortlos hörte sie ihm zu, war fasziniert von dem gut aussehenden, charismatischen Offizier, der sich um seine Soldaten wie ein Vater sorgte. Nach dem Gespräch mit dem Bataillonskommandeur lächelte er sie an und ließ sie wissen, dass er die Anzeige habe abwenden können. Sie war entgeistert gewesen. Bei einem solchen Delikt kannte der Kommandeur normalerweise keine Nachsicht. »Wie haben Sie das geschafft?«, fragte sie, er zwinkerte ihr zu und antwortete: »Brüderlichkeit unter Waisen«. Zunächst hatte sie gemeint, er mache sich über sie lustig, und war ein wenig gekränkt gewesen, doch wie sich herausstellte, waren seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
    Monate später waren sie sich bei einer Party in Tel Aviv über den Weg gelaufen. Sie hätte nicht gedacht, dass er sich an sie erinnerte, doch das tat er, und er kam auf sie zu, um mit ihr zu plaudern. In Zivil fand sie ihn noch anziehender. Sie landeten im Bett, was sonst nicht ihre Art war.
    Recht zügig war ihr Verhältnis enger geworden. Jede freie Minute hatten sie miteinander verbracht. Er umwarb sie, kümmerte sich um sie, verwöhnte sie in jeder Hinsicht. Sie war überglücklich. Auch zu ihrer Familie fand er rasch einen guten Zugang. Seit dem Tod der Eltern war er einsam, Meravs warmherzige Familie schloss ihn ins Herz, und er erwiderte die Liebe, die sie und ihre Familie ihm entgegenbrachten.
    »Was willst du?«, fragte sie ihn endlich in energischem Ton.
    Ihre Wut gründete auf all diesen Dingen, die ihr gerade durch den Kopf schossen. Sie hatte ihn unglaublich geliebt und auf ein Leben mit ihm gebaut.
    »Ich muss mit dir reden«, drängte er.
    »Ich habe dir nichts zu sagen«, schleuderte sie ihm entgegen. Obwohl einige Zeit ins Land gegangen und ihr Zorn schon ein wenig abgeebbt war, hatte sie immer noch große Mühe, ihm zu verzeihen. Möglicherweise war sie auch ein wenig in Verlegenheit. Sie wusste nicht, wie sie aus heiterem Himmel eine Feuerpause einlegen sollte.
    »Merav … ich bitte dich, es ist wichtig«, sagte er sanft und berührte sie am Arm. Er war dünn geworden. Mindestens fünf Kilo hatte er abgenommen, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, er wirkte ausgezehrt, müde und vor allem gehetzt.
    »Gut, rede«, sagte sie schroff.
    »Nicht hier«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf eine Bank, die draußen vor dem Laden stand.
    Sie warf einen Blick auf die Uhr. Wenn sie jetzt ihren Platz in der Warteschlange aufgeben würde, wäre es sinnlos, sich noch einmal hinten anzustellen. Sie würde das Mittagessen auslassen, gereizt und mit knurrendem Magen im Kindergarten eintreffen. Obwohl ihr Rechtsanwalt sie strikt angewiesen hatte, mit Ziv nicht unter vier Augen zu reden – es sei denn, sie zeichnete das Gespräch auf –, folgte sie ihm nach draußen. Er schien aufgeregt zu sein, das merkte sie an seiner Stimme. Sie würde sich besser anhören, was er zu sagen hatte.
    Sie musterte ihn. Mit dem muskulösen jungen Offizier, der ihr damals den Kopf verdreht hatte, hatte er nichts mehr gemein. Er war äußerst angespannt und hielt ständig nach allen Seiten Ausschau, als würde er jemanden suchen. Sie erschrak. Vielleicht war er gar nicht auf freiem Fuß, sondern ausgebrochen?
    »Du musst Gili nehmen und für einige Tage verschwinden«, sagte er schließlich.
    »Wovon redest du?« Sie verstand nicht, was auf einmal dieser Unsinn sollte.
    »Merav … ich habe viel falsch gemacht … auch bei dir, aber nicht nur …«, sagte er. Dafür hatte sie keine Geduld. Sie sprang von der Bank auf. Er erhob sich ebenfalls und stand ihr nun gegenüber, sah sie bedrückend ernst an.
    »Ich habe etwas getan. Und es kann sein, dass Gili in Gefahr ist, dass es Leute gibt, die ihm etwas antun wollen, Kriminelle … aus der Unterwelt.«
    »Was?« Es drang nicht zu ihr durch, was er ihr sagen wollte. Aus der Unterwelt? Und sie hatte gedacht, er wäre wegen Vergewaltigung verhaftet worden!
    »Es tut mir leid …«, sagte er und senkte den Blick.
    Sie spürte, wie ihr das Blut aus den Adern wich. Ihr Herz klopfte wie wild.
    »Was soll das heißen: ›ihm etwas antun wollen‹?« Sie brachte die Worte kaum über die Lippen und sank zurück auf die Bank.
    »Ich dachte, du könntest

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