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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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russländischen Städte die Streckbank zur Anwendung kam, der Ochsenziemer auf der Sennaja Ploschtschad pfiff und Schmerzensschreie über die Maneshnaja gellten, haben sich die Leute auf der Straße die garstigen, in alter Zeit von Fremden eingeschleppten und aufgenötigten Wörter verbissen. Nur die Intelligenzija mag sich nicht damit abfinden und fährt fort, mit giftigen Mutterflüchen um sich zu spucken: in Küchen, Schlafzimmern, Toiletten, Fahrstühlen, Abstellkammern, Hausfluren, Autos, wo sie geht und steht – mag einfach nicht lassen von diesem eklen Polypen am russischen Sprachleib, der Generationen von Landsleuten die Zunge vergiftet hat. Und der sieche Westen findet an unseren Kellerlochschandmäulern seinen Spaß.
    Auf »Côte d’Azur Russe« schließlich wagt es ein dreister Ohrenbläser, die jüngste Verfügung des Gossudaren über die vierundzwanzigstündige Schließung des Rohrs Nr. 3 zu kritisieren. Den Herren Europäern scheint die Galle schön überzulaufen! Dutzende von Jahren haben sie unser Gas abgezapft, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, mit wie viel Aufopferung es unser fleißiges Volk aus den Tiefen holt. In Nizza ist es schon wieder kalt? Na, so was! Dann gibt’s eben paarmal die Woche kalte Küche, meine Herren! Foie gras! Bon appetit!
    Da sind sie in China, scheint’s, heller …
    Die Faustkeilpeitsche knallt. Der Sekretär aus der Auswärtigen ist wieder dran.
    »Korostylew am Apparat. Andrej Danilowitsch, der Empfang des albanischen Gesandten ist auf morgen 14 Uhr verschoben.«
    »Habe verstanden!«, sage ich und schalte das Eulengesicht des Sekretärs ab.
    Bloß gut, denn für heute liegt auch so genug an. Bei der Entgegennahme fremdländischer Beglaubigungsurkunden durch den Gossudaren stehen wir Opritschniki neuerdings neben den Auswärtigen. Bisher war es so, dass wir den silbernen Kelch mit dem Wasser allein in Händen hielten, die Zwölferkorona aus Amtsleuten stand im Halbkreis um uns herum. Nach dem 17. August hat der Gossudar sich für eine Annäherung entschieden: Jetzt halten wir den Kelch selbander mit den Beamten. Der Alte und Shurawljow den Kelch, ich oder sonst jemand vom rechten Flügel das Handtuch, der Sekretär der Auswärtigen Kanzlei die Ellbogenstütze. Die Übrigen in Verbeugung auf dem Teppich. Sobaldder Gossudar den neuen Gesandten mit Handschlag begrüßt und die Urkunden entgegengenommen hat, wird von uns das Handwaschungsritual für den Gossudaren zelebriert. Dass man den Kanzleiratten nach den unseligen Augustereignissen dermaßen entgegenkommt, ist natürlich ärgerlich. Doch so will es unser Gossudar.
    Endlich taucht die Koslowa wieder auf.
    Ich sehe es ihr an den Augen an: Sie hat es. Davon pocht sogleich das Blut in meinen Adern, Herzklopfen stellt sich ein.
    »Hier bitte, Andrej Danilowitsch!« Sie reicht mir eine Plastiktüte mit dem Aufdruck eines chinesischen Imbisslokals durchs Seitenfenster. »Das Geld kommt bis 18 Uhr. Ich rufe an.«
    Um Zurückhaltung bemüht, nicke ich, werfe die Tüte lässig auf den Beifahrersitz, schließe das Fenster. Die Koslowa entfernt sich. Ich fahre los, biege auf die Twerskaja ein. Vor der Moskauer Stadtduma lenke ich den Wagen auf einen der roten Stellplätze für Staatskarossen. Fahre mit der Hand in die Tüte. Betaste die kühle, glatte Kugel. Umfasse sie zärtlich, schließe die Augen. Ein Aquarium! Wann habe ich das letzte Mal solch eine Herrlichkeit in der Hand gehalten? Es muss fast vier Tage her sein, eine halbe, grauenvolle Ewigkeit.
    Mit vor Erregung feuchten Fingern hole ich die Kugel aus der Tüte, lege sie auf die flache linke Hand: Da haben wir sie, die lieben goldenen Kleinen!
    Die Kugel ist durchsichtig, gefertigt aus edlem Material. Mit einer klaren Nährlösung gefüllt. Und darinnen schwimmen sieben winzige goldene Sterlette, kaum fünf Millimeter lang. Ich hebe die Kugel nahe vors Gesicht, um sie zu betrachten. Mikroskopisch kleine Fischlein! Göttliche Schöpfungen, bezaubernd schön! Blitzgescheite Leute haben euch erfunden, uns zur Freude. So klein seid ihr flinken goldenen Fischlein und doch so mächtig wie der Butt aus dem Märchen, der vor Zeiten den dummen russischen Iwans aus dem Volke Glück gebracht hat in Form von wunderfitzigen Schlössern, Zarentöchtern und Backöfen, die von selber backen. Das Glück aber, das ihr göttlichen Winzlinge beschert, ist unvergleichlich jedem Schloss, jedem Automatikofen und jeder holden, liebkosenden Weiblichkeit …
    Ich spähe in die Kugel

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