Tag des Opritschniks, Der
es bleibt nur noch ein Tag, ich bitte Euch als Christenmenschen, als Mann, als Freund des Theaters, als Mensch von Kultur … Andrej Danilowitsch, wir wären Euch auf ewigin Dankbarkeit verbunden, schlössen Euch ein in unser tägliches Gebet, Euch und Eure Familie …«
»Ich habe keine Familie«, falle ich ihr ins Wort.
Sie verstummt. Schaut mich an mit großen, feuchten Augen. »Meine Zeit ist gekommen!«, singt Sussanin und schlägt ein Kreuz. Die Bojarenwitwe sielt sich auf dem Boden herum.
»Wieso kommen Sie als Favoritin der Gossudarenfamilie zu mir?«
»Der Gossudar ist auf den Exvorsitzenden und alle seine Mitstreiter sehr schlecht zu sprechen. Eine Begnadigung kommt für ihn nicht in Frage. Sekretär Korezki hat diesen leidigen Brief an die Franzosen doch eigenhändig verfasst. Der Name Korezki ist für den Gossudaren ein rotes Tuch.«
»Erst recht frage ich Sie, was ich da ausrichten soll.«
»Andrej Danilowitsch! Die Opritschnina kann Wunder vollbringen.«
»Die Opritschnina steht in Schuld und Sühne für unseren Gossudaren ein, meine Dame.«
»Ihr zählt zu denen, die in diesem mächtigen Orden das Sagen haben.«
»Verehrteste! Die Opritschnina ist eine Bruderschaft und kein Orden.«
»Andrej Danilowitsch, ich bitte Euch! Erbarmt Euch einer unglücklichen Frau. Unter euren Männerfehden haben wir Frauen am meisten zu leiden. Dabei hängt von uns doch alles Leben auf Erden ab.«
Ihre Stimme bebt. Die Bojarin am Boden schluchzt leise. Der Tischvorsteher äugt schon herüber zu uns. Was soll’s.
Dass unsereins um Fürsprache gebeten wird, kommt beinahe täglich vor. Doch dieser Korezki, Exvorsitzender der Gesellschaftskammer, und seine ganze Bande …Doppelzüngige Nattern allesamt! Mit denen will man lieber nichts zu tun haben.
»Sagen Sie ihr, sie soll verschwinden«, befehle ich.
Die Ballerina beugt sich über die Liegende. »Klawdija Lwowna, mein Liebes …«
Schluchzend verschwindet die Korezkaja im Dunklen.
»Gehen wir ans Tageslicht«, sage ich und begebe mich zur Tür mit dem Leuchtschild Ausgang.
Die Koslowa kommt mir nachgeeilt. Wortlos verlassen wir das Gebäude durch die Dienstpforte.
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ICH TRETE HINAUS auf den Platz, gehe zu meinem Merin. Die Koslowa kommt mir hinterher. Bei Tageslicht nimmt sich Russlands beste Giselle noch unschöner und zerbrechlicher aus. Ihr hageres Gesicht hält sie hinter einem edlen Fuchspelzkragen versteckt. Sie trägt einen engen, langen Rock aus schwarzer Seide, unter dem ein Paar spitze schwarze Stiefelchen mit Schlangenlederbesatz hervorsehen. Die Augen der Primaballerina sind schön: groß, grau und unstet.
»Wenn es Ihnen unangenehm ist, können wir uns auch in meinem Wagen unterhalten«, sagt sie und weist mit dem Kopf auf einen fliederblauen Cadillac.
»Doch besser in meinem«, sage ich und deute auf den Merin, der gehorsam sein Glasdeck auffährt.
Nicht einmal Steuereintreiber treffen ihre Absprachen heutzutage in fremden Autos. Kein noch so bekiffter Untersekretär aus der Handelskanzlei wird sich in einen fremden Wagen setzen und einen Schwarzbittsteller anhören.
Ich nehme hinter dem Lenkrad Platz. Sie auf dem Beifahrersitz. Eine Rückbank hat der Merin nicht.
»Fahren wir ein Stück, Uljana Sergejewna«, sage ich, starte den Motor und verlasse den für Staatsbedienstete reservierten Parkplatz.
»Seit einer Woche reiße ich mir die Beine aus, Andrej Danilowitsch.«
Sie holt eine Packung Damenzigaretten, Marke Rodina, hervor, und beginnt zu rauchen.
»Die Sache ist wie verhext. Es will mir einfach nicht gelingen, meiner alten Jugendfreundin aus der Klemmezu helfen. Dazu kommt, dass ich morgen Vorstellung habe.«
»Ist sie Ihnen denn wirklich so viel wert?«
»O ja. Ich habe sonst keine Freundinnen. Sie wissen doch, wie es zugeht in der Welt des Theaters …«
»Davon hat man gehört«, sage ich, während ich den Kreml durch die Borowizkije Worota verlasse und auf den Bolschoi Kamenny Most biege. Immer schön auf der roten Spur bleibend, gebe ich Gas.
Die Koslowa nimmt einen tiefen Zug und betrachtet den Kreml, von dessen weißen Zinnen sich der Schnee kaum abhebt.
»Ich war sehr aufgeregt vor dem Treffen mit Ihnen, müssen Sie wissen.«
»Wieso?«
»Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer sein kann, Fürsprache für jemanden einzulegen.«
»Da ist was dran.«
»Und außerdem … Ich hatte letzte Nacht einen seltsamen Traum: Mir träumte, dass an der Hauptkuppel der Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale immer noch die
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