Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
Ich kann an diesen Fischlein durchaus nichts Staatsfeindliches finden. Für das einfache Volk sind sie außer Reichweite, die reichen und vornehmen Leute indessen sollten sich ein paar Schwächen leisten dürfen. Denn Schwäche ist nicht gleich Schwäche. Nikolai Platonowitsch, der Gossudarenvater, erließ seinerzeit die grandiose Verordnung »Über den Gebrauch geistig anregender und entspannender Wirkstoffe«. Darin wurden Koks, Meti und Gras ausdrücklich für den Allgemeingebrauch zugelassen. Sie fügen dem Staat keinen Schaden zu, leisten den Bürgern bei Arbeit und Erholung gute Dienste. In jeder Apotheke kann man ein Quäntchen Koks zum staatlich festgesetzten Preis von zwo Rubel fünfzig erwerben. Dort ist auch ein entsprechender Tresen vorhanden, wo der Werktätige vor Dienstbeginn oder in der Mittagspause eine Linie ziehen kann, um beschwingt an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren und das Staatswohl Russlands nach Kräften zu befördern. Ebenso werden dort Spritzen mit anregendem Meti und Tütchen mit abregendem Gras feilgeboten. Letzteres freilich erst nach 17 Uhr. Wohingegen der andere Dreck: Harry, Trips, Pilze und das alles , tatsächlich dazu angetan ist, das Volk zu vergiften, das Zeug schwächt das Mark und den Willen, verjubelt das Hirn und schadet so dem Staatswesen. Weswegen der Gebrauch auf dem gesamten Territorium Russlands verboten ist. Gut durchdacht ist das und weise entschieden. Nur diese Fischlein … die sind besser als aller Koks und Harry zusammengenommen! Das ist, wie wenn ein Regenbogen den Himmel überspannt – plötzlich ist er da und erfreut, und irgendwann ist er wieder weg. Der Sterlettregenbogen macht keinen schweren Kopf und keinen Hänger.
    Von einem Tritt mit beschlagenem Stiefel springt die Tür auf.
    So betritt nur einer den Raum: der Alte.
    »Komjaga! Du schon hier?«
    »Wo sonst, Ältester!«
    Ich werfe dem Alten die Kugel zu. Er fängt sie auf. Hält sie gegen das Licht, kneift die Augen zusammen, schaut.
    »O ja! … Passt.«
    Nach ihm kommen Schelet, Samosja, Jerocha, Mokry und Prawda herein. Des Alten rechte Hand, zur Gänze. Mit seiner linken schlägt der Alte andernorts über die Stränge. Daran tut er wohl – Linke und Rechte zu verheddern gehört sich in solchen Dingen nicht.
    Alle sind sie schon ein bisschen aufgekratzt. Wie auch nicht – die Fischlein zum Greifen nahe! Samosja hält die Fäuste geballt, seine kohlschwarzen Augen fliegen. Jerochas Zunge beult die breitknochigen Wangen, er knirscht leise mit den Zähnen. Mokry glubscht unter den buschigen Brauen hervor, als wollte er mich durchbohren. Das letzte Mal war er es, der die Fischlein besorgt hat. Und Prawda hat die ganze Zeit die Hand am Messer – eine Angewohnheit. Seine Faust ist ganzweiß, so fest hält sie das Heft umklammert. Die Rechten in der Opritschnina sind alles Feuerköpfe. Beim geringsten Anlass schneiden sie auch dem eignen Mann die Kehle durch, ohne zu zögern.
    Der Alte zügelt seine Leute: Gemach! Gemach!
    Er legt die Kugel auf dem steinernen Fußboden ab und beginnt sich als Erster auszukleiden. Diener sind hierbei nicht schicklich – wir ziehen uns selbst aus und wieder an. Die Opritschniki werfen ihre Brokatjacken ab, reißen sich die Seidenhemden vom Leib und das Unterzeug. Als alle nackt sind, legt sich jeder in seinen Stuhl.
    Auch ich lasse mich, die Scham mit den Händen bedeckend, nieder, dabei packt mich schon der Schüttelfrost, doch ist es die reine Vorfreude: Die goldene Seligkeit steht bevor! Wie immer nimmt der Alte den Einstieg selbst in die Hand. Splitternackt hebt er jetzt die Kugel mit den Fischlein auf und … kommt zu mir! Natürlich, ich bin ja heute der Beschaffer. Folglich die Nummer eins unter den sieben, das erste Fischlein geht an mich. Ich strecke dem Alten den linken Arm hin, balle die Hand ein paarmal zur Faust und öffne sie wieder, während die Finger der anderen den Unterarm abdrücken. Der Alte neigt sich über meine Armbeuge wie Jahwe, der Herr. Und legt die göttliche Kugel an meine schwellende Vene. Ich sehe, wie die Fischlein plötzlich stillstehen, nur einmal hin- und herschwappen mitsamt der Flüssigkeit, bis eines plötzlich auf meine gegen die Kugel gepresste Vene zuschießt, mit der klitzekleinen Schwanzflosse wedelt und sich durch das nachgiebige Glas in die Vene hineinbohrt. Zack! Sei gegrüßt, Goldfischlein, edles Tier!
    Der Alte geht zu Jerocha hinüber. Der ist auch schon so weit: Zittern, Zähneknirschen, geballte Faust,

Weitere Kostenlose Bücher