Tag des Opritschniks, Der
hinein. Schon mit bloßem Auge sehe ich, dass die Giselle mich nicht betrogen hat! Sieben goldne Sterlettchen sind in meiner Hand. Ich hole die Lupe hervor, sehe noch genauer hin: hervorragende Ware, offensichtlich chinesisches Fabrikat, kein ärmlicher Schund aus Amerika, von Holland ganz zu schweigen. Sie tummeln sich in ihrem Element, glänzen in der fahlen Moskauer Wintersonne. Einfach fabelhaft!
Ich rufe den Alten an. Zeige die Kugel vor.
»Alle Achtung, Komjaga!« Der Alte zwinkert mir zu und schnipst mit dem Finger gegen sein Ohrglöckchen, was als Beifallsbekundung gelten darf.
»Wohin damit, Ältester?«
»In die Sauna. Donskije Bani.«
»Ich fliege!«, sage ich und bin schon dabei auszuparken.
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AUF DEM WEG IN DIE SAUNA überlege ich mir, wie ich die verbleibenden Aufgaben am besten auf den Rest des Tages verteile. Doch ich bin nicht bei der Sache, die Gedanken schweifen ab – neben mir planschen die goldenen Fischlein in der Kugel! Zähneknirschend zwinge ich mich, an meine Dienstpflichten zu denken. Beides dürfte noch zu schaffen sein: den Stern auszulöschen und zur Wahrsagerin zu fliegen.
Auf der Donskaja ist viel Betrieb. Ich stelle das Gossudarenröhren an. Die Karossen erbeben von dem unhörbaren Ton, machen mir den Weg frei, steuern zum Straßenrand. Groß und gewaltig, dieses Röhren. Bricht sich Bahn wie ein Bulldozer. Ich drücke auf die Tube, rase dahin, als würde es brennen. Und ob es brennt! Der Goldene Sterlett wirkt stärker als jede Feuersbrunst! Was sage ich: stärker als ein Erdbeben!
Vor dem gelben Gebäude der Donskije Bani komme ich zum Stehen. Neben dem Portal, bis zur Traufe aufragend, die Figur eines bärtigen Saunameisters mit wolligem Rotbart und zwei Rutenbesen in den muskulösen Händen. Besenwedelnd kneift der Riese alle dreißig Sekunden eines seiner mutwillig blickenden blauen Augen zu.
Ich stopfe mir die Kugel mit den Fischlein unter den Kaftan, in die Innentasche meiner Jacke hinein, und betrete das Haus. Die Türhüter machen einen tiefen Diener. Der Alte hat unseren Saal bereits reservieren lassen. Ich lasse mir beim Ablegen des schwarzen Kaftans helfen und gehe durch den überwölbten Korridor nach hinten. Meine kupfernen Sohlenbeschläge klappern über den Steinfußboden. Vor der Tür zu dem Saal wacht ein Aufpasser – Koljacha. Wir kennen ihn gut, er hütet regelmäßig unser spezielles Gemach. Kein Fremder gelangte je an dem tätowierten, breitschultrigen Hünen vorbei zu uns herein.
»Grüß dich, Koljacha!«, sage ich.
»Heil Euch, Andrej Danilowitsch!«, erwidert er mit einer Verbeugung.
»Ist schon wer da?«
»Ihr seid der Erste.«
Auch gut. So sichere ich mir den besten Platz.
Koljacha lässt mich in den Saal ein. Der ist nicht groß, hat niedrige Decken. Dafür ist es hier gemütlich, eine intime Atmosphäre. In der Mitte des Raumes befindet sich ein kreisrundes Tauchbecken. Rechts liegt der Dampfraum. Er wird heute nicht gebraucht und ist daher geschlossen. Wir machen uns auf andere, raffiniertere Art Dampf. Für den müsste der Rutenbesen erst noch gefunden werden …
Rund um das Becken stehen, wie Blütenblätter angeordnet, die Liegestühle. Sieben an der Zahl. So viele, wie Fischlein in der gelobten Kugel sind. Ich ziehe sie aus der Tasche meiner Brokatjacke und setze mich auf eine Stuhlkante. Die Kugel liegt auf meiner Hand. Lustig flitzen die kleinen goldenen Sterlette, ganz in ihrem Element. Gar wunderhübsch sind sie, das sieht man ohne Lupe. Es muss ein außerordentlicher Verstand sein, der dieses Vergnügen ausgeheckt hat. Vielleicht gar kein Menschenverstand. Eigentlich kann es nur ein vom Thron des Herrn gestürzter Engel sein, dem solches in den Sinn kommt.
Ich lasse das Ding auf meiner Handfläche hüpfen. Teures Vergnügen! Ein einziger solcher Ball übersteigt mein Monatsgehalt. Schade eigentlich, dass diese Zauberkugeln in unserem rechtgläubigen Land strengstens verboten sind. Und nicht nur hier. In Amerika kriegt man für Silberfischlein zehn Jahre aufgebrummt, für goldene das Dreifache. In China wird man gleich aufgeknüpft. Und im siechen Europa kommen derlei Bällchen gar nicht vor – die Cyberpunks dort schmeißen lieber ihre billigen Trips. Seit vier Jahren pflegt unsere Geheime Kanzlei die Fische abzufangen. Doch sie kommen trotzdem zu uns geschwommen, und zwar aus dem benachbarten China. Munter schlüpfen sie den Grenzern durch die Maschen. Und daran wird sich wohl nichts ändern …
Um ehrlich zu sein:
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