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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Knochen, Vollmilch und gedämpfte Milch, Hühnereier und Wachteleier, Kochwurst und Räucherwurst, Kirschkompott und Birnenkompott. Und Russischer Käse.
    Es war eine gute Idee vom Gossudarenvater Nikolai Platonowitsch, Gott hab ihn selig, alle ausländischen Supermärkte abzuschaffen und durch russische Kaufmannsläden zu ersetzen. Und dass das Volk dort bei allem die Wahl zwischen dem einen und dem anderen hat. Eine kluge, eine weise Entscheidung. Unser gotterwähltes Volk soll zwischen zweierlei wählen dürfen, nicht zwischen drei- oder dreiunddreißigerlei. Diese begrenzte Auswahl verschafft ihm seine Seelenruhe, nährt in ihm die Gewissheit bezüglich des kommenden Tages, bewahrt es vor unnützer Geschäftigkeit, macht es folglich zufriedener. Mit einem solcherweise befriedeten Volk lassen sich große Dinge anstellen.
    In diesem Laden hier steht alles zum Besten, nur will mir eines nicht in den Kopf: Wieso gibt es von allem zwei, ganz wie in der Arche Noah, aber nur einen Käse, nämlich Russischen? Das geht über meinen logischen Verstand. Doch es ist nicht mein Bier, sondern das des Gossudaren. Der Gossudar kann das Volk vom Kreml herab besser sehen. Wir hier krauchen zu ebener Erde wie Ameisen, wiebeln hin und wiebeln her und sehen den Wald vor Bäumen nicht. Unser Gossudar hingegen sieht und hört alles. Und er weiß, was für wen gut ist.
    Ich zünde mir eine Zigarette an.
    Sogleich fasst mich ein Bauchladenverkäufer ins Visier. Gestutzter Kinnbart, geputzter Kaftan, geschniegelte Manieren. Er bietet Bücher feil.
    »Belieben der Herr Opritschnik die neuesten Neuerscheinungen der schöngeistigen russländischen Literatur zu erwerben?«
    Mit diesen Worten klappt er vor mir seinen dreiflügeligen Bauchladen auf. Der Buchhandel ist auch vereinheitlicht, sein Angebot vom Gossudaren für gut befunden und von der Kanzlei für Wort und Schrift bestätigt. Das gute Buch steht bei unseren Menschen hoch im Kurs. Auf der linken Klappe liegt die religiöse Literatur, auf der rechten die russische Klassik und in der Mitte das Neueste, was unsere lebenden Schriftsteller geschrieben haben. Als Erstes sehe ich die Neuerscheinungen der vaterländischen Prosa durch. Iwan Korobow: »Weiße Birke«, Nikolai Woropajewski: »Die unsere Väter sind«, Isaak Epstejn: »Die Eroberung der Tundra«, Raschid Sametdinow: »Russland, du mein Vaterland«, Pawel Olegow: »Die Fluren von Nishni Nowgorod«, Sawwati Scharkunow: »An der Westwand auf Wacht«, Irodiada Denjushkina: »Freund meines Herzens«, Oksana Podrobskaja: »So leben die Kinder der neuen Chinesen«. All diese Autoren sind mir wohlbekannt. Sie haben einen guten Namen, erfreuen sich der Gunst des Gossudaren und des Volkes.
    Dann stutze ich, als ich in einer Ecke des Kastens Michail Schwellers »Lehrbuch des Tischlerhandwerks für Gemeindeschulen« entdecke. Darunter liegt ein Lehrbuch des Schlosserhandwerks vom selben Autor.
    »Was hat das denn hier zu suchen?«
    »Ach, wir haben hier ganz in der Nähe zwei Schulen, Herr Opritschnik. Da kommen die Eltern vorbei und kaufen das.«
    »Verstehe. Und was ist mit dem literarischen Nachwuchs?«
    »Die Debüts sind wie immer für das Frühjahr angekündigt, zur Osterbuchmesse.«
    Alles klar. Meine Augen wandern zur Abteilung Poesie hinüber. Pafnuti Sibirski: »Heimische Weiten«, Iwan Mamont-Bely: »Apfelblüte«, Antonina Iwanowa: »Russlands Söhne, ihr getreuen«, Pjotr Iwanow: »Die Schwemmwiese«, Issai Berstejn: »Dafür dank ich dir!«, Iwan Petrowski: »Leben und leben lassen«, Salman Bassajew: »Das Lied der tschetschenischen Berge«, Wladislaw Syrkow: »Der kleine Gossudar«.
    Ich greife nach dem letztgenannten Buch, schlage es auf. Ein Poem über die Kindheit des Gossudaren. Jugend und Erwachsenenalter hat der Dichter Syrkow bereits zuvor gebührend behandelt. Das Buch ist edelaufgemacht: kostbarer Einband aus Kalbsleder mit Goldprägung, rosa Schnitt, hochweißes, festes Papier, Lesebändchen aus hellblauer Seide. Auf dem Schmutztitel befindet sich ein bewegtes Bild des Dichters Syrkow, wie er weißhaarig, gebeugt, mit düsterem Blick am Meeresufer steht und hinausschaut zum Horizont, während sich zu seinen Füßen die Wogen unaufhörlich brechen. Er hat etwas von einem Uhu. Stark in sich gekehrt jedenfalls.
    »Ein äußerst erhebendes Poem, Herr Opritschnik!«, preist der Buchverkäufer, die Worte sorgfältig setzend, das Werk. »Ein plastisches Bild des Gossudaren, und so lebendig beschrieben …«
    Ich beginne

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