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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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heißblütige junge Männer, rechte Kerle, die aber noch an die Kandare genommen werden müssen. Mit ihrer Führung wollte es irgendwie von Beginn an nicht klappen. Haben einfach kein Glück mit ihren Köpfen, die Jungs. Zum Davonlaufen ist das! Jedes Jahr tauscht der Gossudar den Kommandoführer bei ihnen aus, aber es kommt einfach keine Linie hinein. Rätselhaft, das Ganze. Wackelburschen nennen wir von der Opritschnina diese Pappenheimer insgeheim. Da läuft eine Menge schief bei denen, auwei … Aber dafür sind wir ja da, um zu helfen. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir unsere Erfahrung weitergeben können.
    Das Büro der Burschen kommt in Sicht, ein vornehm ausstaffierter Bau. Köpfe gibt es wenige bei ihnen, aber Geld im Überfluss, wie man sieht. Plötzlich noch einAnruf, und diesmal blinkt das rote Lämpchen. Dringliche Angelegenheit. Der Alte ist dran.
    »Komjaga, wo steckst du gerade?«
    »Bei den Wackelburschen, Ältester.«
    »Vergiss sie und düs’ ab nach Orenburg. Unsere Leute haben sich dort mit den Zöllnern in den Haaren.«
    »Aber dafür ist der linke Flügel zuständig, Ältester, ich hab damit die längste Zeit zu tun gehabt.«
    »Tschapysch begräbt seine Mutter, Sery und Wosk sind im Kreml und reden Fraktur mit Graf Saweljew, und Samosja, der Blödmann, hat auf der Ostoshenka einen aus der Strelitzenkanzlei gerammt.«
    Auch das noch.
    »Baldochai?«
    »Auf Dienstreise in Amsterdam. Los, Komjaga, mach hin, du musst dort sein, bevor sie uns übern Tisch ziehen. Du warst beim Zoll, du kennst den Laden. Da klemmt ein Hunderttausender, großes Ding. Wenn das abkracht, ärgern wir uns schwarz. Die Zollfritzen haben uns schon genug geschröpft diesen Monat. Kläre die Sache!«
    »Schuld und Sühne, mein Ältester!«
    Na fein. Orenburg. Das heißt: an die Trasse. Mit der Trasse ist nicht zu spaßen. Um die rauft man sich bis aufs Blut. Ich rufe die Wackelburschen an und gebe bis zum Abend Entwarnung.
    »Bis zum großen Heulen bin ich wieder da!«
    Ich fahre zurück auf die Promenaden, überquere ein neues Mal den Kamenny Most und tauche von da in die Tunnelstraße Kalushskaja-2. Eine breite, glatte Fahrbahn. Ich hole das Letzte aus meinem Merin heraus, 260 Werst die Stunde. Nach achtzehn Minuten lange ich am Flughafen Wnukowo an. Stelle meinen Merin auf einem roten Parkplatz ab und betrete die Abfertigungshalle. Ein Mädchen in Aeroflot-Uniform – blau mit Schulterklappen und Silberstickerei, dazu weiße Kniestiefel und weiße Lederhandschuhe – nimmt mich in Empfang, geleitet mich zum Hochsicherheitskorridor.
    Ich lege meine rechte Hand an die quadratische Scheibe. Augenblicklich schwebt mein ganzes Leben vor uns in der mit Kiefernharzaroma geschwängerten Luft. Geburtsjahr, Dienstgrad, Wohnort, Familienstand, Sozio-Index, Gewohnheiten, besondere Kennzeichen: Muttermale, Krankheiten, Psychosoma, Charakterkern, Vorlieben, Gebrechen, Abmessungen äußerer und innerer Organe. Das Mädchen schaut auf meine körperliche und seelische Visitenkarte, erkennt und vergleicht. Totale Durchschaubarkeit!, so der Wahlspruch unseres Gossudaren. Und außerdem: Wir sind ja zu Hause, unter uns, da muss sich keiner schämen.
    »Wohin soll die Reise gehen, Herr Opritschnik?«, fragt die Bedienstete.
    »Orenburg«, antworte ich. »Erste Klasse.«
    »Ihr Flugzeug startet in einundzwanzig Minuten. Das Ticket kostet zwölf Rubel. Die Flugzeit beträgt fünfzig Minuten. Wie möchten Sie bezahlen?«
    »In bar.«
    Bei der Opritschnina wird immer und überall nur noch mit klingender Münze bezahlt.
    »Welcher Prägung?«
    »Zweite.«
    »Fein.« Das Fräulein stellt mir das Ticket aus, indem sie mit ihren Leuchthandschuhen durch die Luft fährt.
    Ich reiche ihr das Geld: einen goldenen Zehner mit des Gossudaren edlem Profil und zwei einzelne Rubel dazu. Sie verschwinden in der Mattscheibe.
    »Ich darf bitten.«
    Mit einer angedeuteten Verbeugung winkt sie mich in den Wartesaal für Fluggäste erster Klasse durch.
    Ich gehe hinein. Sogleich tritt ein Mann in weißer Papacha-Pelzmütze und weißer Kosakenuniform auf mich zu und erbietet sich mit einem tiefen Diener, mir den Mantel abzunehmen. Ich überlasse ihm den schwarzen Kaftan und die Mütze. In dem geräumigen Erste-Klasse-Saal halten sich nur wenige Fluggäste auf: zwei Kasachenfamilien in üppiger Tracht, vier stille Europäer, ein alter Chinese mit einem Knaben in Begleitung, ein Bojare mit drei Dienern, eine einzelne Dame und zwei angetrunkene, laut daherredende

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