Tag des Opritschniks, Der
Kaufleute. Außer der Dame und den Chinesen sind alle mit Essen beschäftigt. Die Speisewirtschaft ist gut, ich habe hier schon mehrmals gegessen. Und nach den goldenen Fischlein stellt sich der Hunger ein. Ich nehme an einem Tisch Platz. Umgehend erscheint vor mir der gläserne Kellner, der aussieht wie Gogols unsterblichen Büchern entsprungen: pausbäckig, mit prallen roten Lippen, Kräusellocken und süßlichem Lächeln.
»Was wünschen der Herr, womit kann ich dienen?«
»Ich wünsche«, passe ich mich seinem Tonfall an, »ein Gläschen zu trinken und ein Häppchen dazu und noch etwas Leichtes hinterher.«
»Korn mit Gold- und Silberflimmer, Kaviar aus Schanghai, gedörrter Störrücken nach Taiyuaner Art, Reizker, mariniert und in Sahne, Rindskopfsülze, Flusszander aus heimischen Gewässern, Guangdonger Schinken.«
»Bring Silberkorn, Reizker in Sahne und Sülze. Was gibt’s als Hauptgang Herzerwärmendes?«
»Sterlettsuppe, Moskauer Borschtsch, Ente mit Rüben, Kaninchen mit Nudeln, Forelle auf Holzkohle gebacken, Rinderkotelett mit Kartoffeln.«
»Die Suppe. Und ein Glas süßen Kwass.«
»Sehr wohl, der Herr.«
Der Gläserne verschwindet. Mit ihm ließe sich über alles reden, selbst über Saturnsatelliten. Sein Speicher ist im Grunde grenzenlos. Einmal im Suff erdreistete ich mich, den Gläsernen in meinem Stammlokal nach der Formel für lebendgebärende Fasern zu fragen. Er hat sie mir genannt. Um hernach in aller Ausführlichkeit den technologischen Vorgang zu erläutern. Wenn unser Alter einen gehoben hat, stellt er dem Gläsernen am liebsten immer die eine Frage: Wie lange haben wir noch, bis die Sonne explodiert? Die Antwort erfolgt auf das Jahr genau. Jetzt aber habe ich gewiss keine Zeit, lose Reden zu führen – und außerdem Hunger.
Im Handumdrehen taucht das Bestellte aus dem Tisch hervor. Solche fügsamen Tische haben sie hier. Der Wodka wird prinzipiell in Karaffen serviert. Ich kippe ein Gläschen, schiebe gesalzene Reizker in Sahne nach. Zum Wodka hat die Menschheit noch nichts Bessres erfunden. Dagegen verblassen selbst die Salzgürkchen meiner alten Gouvernante. Ich verspeise ein vorzügliches Stück Sülze mit Senf, leere ein Glas gesüßten Kwass und gehe zur Fischsuppe über. Bei ihr muss man sich bekanntlich Zeit lassen. Während ich esse, schaue ich ein bisschen in die Runde. Die Kaufleute sind dabei, die zweite Karaffe niederzumachen, schwätzen über irgendeinen »Drei-Stufen-Durchzug« und »100-PS-Parakleten«, die sie in Moskau anscheinend an den Mann gebracht haben. Die Kasachen palavern etwas in ihrer Sprache, essen Kuchen und trinken Tee. Der Chinese und sein Junge kauen Mitgebrachtes aus der Tüte. Die Dame raucht selbstvergessen. Sowie ich mit der Suppe fertig bin, bestelle ich eine Tasse türkisch gebrauten Kaffee, rauche eine Zigarette. Dabei rufe ich unsere Jungs an der Trasse an, um zu erfahren, worum es eigentlich geht. Potrochas Gesicht erscheint. Ich schalte um auf den Intimmodus. Potrochas Erläuterungen kommen wie aus der Pistole geschossen.
»Zwölf Tieflader. Gehobene Schneiderei, Schanghai–Tirana. Wir haben uns ein bisschen aufgespielt, sie gleich hinterm Großen Tor gestoppt und auf die Filzbank dirigiert, aber die Versicherer haben sich quergestellt – die haben nach der alten Tabelle kassiert, einen neuen Vertrag zu basteln hatten sie keine Lust. Wir haben über die Kammer Druck gemacht, der Boss sagt, die hätten dort mit den Zöllnern ihr eignes linkes Ding laufen – wir wieder hin zu den Zöllnern, die spielen das gleiche Spiel, der Oberste deckt die Sache, der Sekretär hat den Schwanz eingezogen, kurz: In zwei Stunden wollen sie sie ziehen lassen.«
»Ah ja«, sage ich und denke nach.
In solchen Fällen muss man ein guter Schachspieler sein und absehen können, was passiert. Das hier ist kein einfacher Fall, aber nachzuvollziehen. Wenn der Sekretär aus der Zollkanzlei den Schwanz eingezogen hat, heißt das, die Chinesen haben einen luftleeren Korridor gekauft und den Vertrag gleich hinter dem Grenzposten neu aufgesetzt bekommen. Damit sind sie bei den Kasachen schon mal reibungslos durchgerutscht. Und selbstredend haben sich die Zöllner nur verzogen, um am Großen Westtor wieder aufzukreuzen. Hier kriegen die Chinesen den falschen Vertrag wieder abgenommen und werden regulär zur Kasse gebeten. Alsdann wird die Versicherungsurkunde geschreddert, und die dortige Kanzlei erstellt eine Vierstundennote. Zuletzt wird der Maulwurf begraben
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