Tag des Opritschniks, Der
Hörst du? Moskau! (Schließt lüstern die Augen zu einem Spalt.) Überleg doch mal, mein Lieber! Ganz Moskau wird in unserer Hand sein! (Zeigt seine schwammige Handfläche vor.) Was ist nun? Unterschreibst du?
Gleich darauf sieht man die Augen des Duma-Vorsitzenden in Großaufnahme. Erst fahrig und verschrecktwie bei einem gehetzten Wolf – doch auf einmal glimmt darin ein boshafter Funken und wächst sich aus zu unbändiger Wut. Im selben Moment setzt eine düstere Musik ein, ein beängstigender Schatten legt sich von schräg hinten über die Szenerie, der Nachtwind bauscht die Gardine, die Kerze flackert, ein Hund bellt. Und in der Dunkelheit ballen sich die Fäuste des Vorsitzenden – bebend zuerst vor Angst und dann aus Groll und Hass gegen den Russländischen Staat.
VORSITZENDER (zähneknirschend): Ich unterschreibe alles!
Lysy ist ein guter Regisseur. Nicht umsonst hat ihn der Gossudar gleich nach diesem Film zum Oberhaupt der Filmkanzlei gemacht. Aber die Dame dort drüben … Sie sieht aus wie eine Adlige. Und für die müsste dieser Film ein rotes Tuch sein. Sie schaut in die Blase, als sähe sie gar nicht richtig hin. Wie hindurch. Mit kalter, teilnahmsloser Miene. Schön ist sie nicht gerade, aber von Rasse. Dass sie nicht im Armenhaus an der Nowaja Sloboda aufgewachsen ist, sieht man.
Ich kann es mir nicht verkneifen und spreche sie an.
»Gefällt Ihnen der Film denn, gnädige Frau?!«
Sie wendet mir ihr gepflegtes Gesicht zu.
»Er gefällt mir außerordentlich, Herr Opritschnik. Ist es Ihre dienstliche Pflicht, mich das zu fragen?« Bei diesem Konter zuckt kein Muskel in ihrem Gesicht. Sie ist kaltblütig wie eine Schlange.
»Durchaus nicht«, pariere ich. »Mich wundert es nur, weil in dem Film so viel Blut fließt.«
»Und Sie meinen, russische Frauen mögen das nicht?«
»Frauen überhaupt. Und was die russischen angeht …«
»Sie haben dafür gesorgt, Herr Opritschnik, dass die russischen Frauen den Anblick von Blut seit langem gewöhnt sind.«
Das hat gesessen. So leicht kommt man ihr anscheinend nicht bei.
»Mag schon sein, aber … Ich denke trotzdem, es gibt angenehmere Filme für das weibliche Auge. In diesem da steckt so viel Leid.«
»Jeder nach seinem Gusto, Herr Opritschnik. Sie entsinnen sich vielleicht der alten Romanze: Was tut es, ob ich leide oder lache …«
Sie nimmt sich ein bisschen viel heraus, finde ich.
»Dann entschuldigen Sie. Ich hatte einfach nur so gefragt.«
»Und ich habe einfach nur so geantwortet«, erwidert sie und dreht sich weg von mir, heftet ihren leidenschaftslosen Blick wieder auf die Blase.
Der Fall interessiert mich nun doch. Ich lichte sie mit meinem Faustkeil ab und gebe unserem Sicherheitsdienst ein Signal, die Dame für mich aufzubereiten. Die Antwort kommt umgehend: Anastassija Petrowna Stein-Sotskaja, die Tochter des Duma-Sekretärs Sotski. Ach, du heiliger Strohsack! Das ist genau jener Sekretär, der mit dem Duma-Vorsitzenden damals den schändlichen Plan zur Aktion »Filetieren und verkaufen« ausgeheckt hat! In der heißen Zeit damals war ich noch nicht bei der Opritschnina, saß still in meiner Zollabteilung, mit alten Büchern und Edelmetallen beschäftigt …
Aber nun weiß ich, warum sie sich diesen Film anschaut, so anschaut. Es ist ja ihre Familiengeschichte! Der Sekretär Sotski ist seinerzeit, wenn die Erinnerung mich nicht trügt, mit neun weiteren Rädelsführern auf dem Schönen Platz enthauptet worden …
Auf meiner Blase gehen Tiger in Käfigen um, springen sowjetische Köchinnen durchs Bild, ich kriege kaum noch etwas davon mit. Neben mir sitzt ein Opfer des Russländischen Staates. Wie mag man mit dieser Frau umgesprungen sein? Nicht einmal von ihrem Namen hat sie gelassen, nur einen Doppelnamen draus gemacht. Aus Stolz. Ich ordere eine ausführliche Biographie: 32 Jahre alt, verheiratet mit dem Textilhändler Boris Stein, hat seinerzeit sechs Jahre mit der Mutter und dem jüngeren Bruder in der Verbannung gelebt. Später Jura studiert. Charakterkern: Fliehende Schwester 18. Linkshänderin. Schlüsselbeinbruch, anfällige Lunge, schlechte Zähne, zwei Fehlgeburten, beim dritten Mal einen Jungen zur Welt gebracht, wohnhaft zurzeit in Orenburg. Steckenpferde: Bogenschießen, Schachspielen, russische Romanzen zur Gitarre singen.
Ich schalte meine Tiger ab, versuche zu dösen.
Doch die Gedanken kommen von allein in den Kopf gekrochen: Da sitzt neben mir ein Mensch, der gekränkt ist bis ins Mark. Der
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