Tag des Opritschniks, Der
Herzen.
»Nichts …«
Ich zucke zusammen, Praskowja schluckt.
»… ist unmöglich.«
Ich verbeuge mich so tief, dass meine rechte Hand den Steinfußboden berührt.
Dann verlasse ich den Saal.
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DER RÜCKFLUG WAR LEIDLICH, auch wenn diesmal schon mehr Leute im Flugzeug saßen. Ich habe ein Jermak-Bier getrunken, gesalzene Erbsen geknabbert und mir einen Film über unsere tapferen Geldschneider aus der Kämmerei angesehen. Wie sie sich vor vier Jahren mit der China UnionPay in den Haaren hatten. Eine wilde Zeit war das! Einmal mehr versuchten die Chinesen, uns bei der Gurgel zu packen, doch es wurde nichts daraus. Unsere Kämmerei hat gegengehalten, eine neue Geldprägung war die Antwort.
Das Funkeln muss man gesehen haben, das die neuen russischen Goldrubelchen in den Schlitzaugen hervorriefen! Diaodalian 1 ! Beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf.
In Moskau ist es mittlerweile Abend.
Während der Fahrt vom Flughafen Wnukowo in die Stadt höre ich feindliches Radio.
Mein getreuer Merin kann den Schwedenfunk »Paradigma« empfangen, der eigens für unsere intellektuellen Gruftis gemacht ist. Ein leistungstarker Rundfunksender mit sieben Kanälen. Ich gehe sie durch. Heute läuft ein Jubiläumsprogramm: Der russische kulturelle Andergraund. Alles Sendungen, die zwanzig Jahre oder älter sind. Damit unsere greise Fünfte Kolonne, diese Brut, sich ein paar Tränen abdrücken kann.
Auf Kanal 1 wird aus dem Buch eines gewissen Rykunin gelesen. »Wo Derrida dinierte«, heißt es und beschreibt bis ins Kleinste die Orte, an denen der Westphilosoph während seines Besuchs im postsowjetischen Moskau Nahrung zu sich genommen hat. Besonderen Raum scheint dabei das Kapitel »Was der Meister auf dem Teller zurückließ« einzunehmen.
Kanal 2 bringt eine Sendung zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum der Ausstellung »Achtung, Religion!«. Irgendeine Oma, die an der legendären Obskurantenorgie teilnahm, kriegt eine Medaille »Den Opfern der R.O.K.« angehängt und erzählt mit zittrigem Stimmchen von damals. Gerade salbadert sie von »bärtigen Barbaren in Talaren, die unsere herrliche, reine und aufrichtige Kunst in Klump schlugen«.
Auf Kanal 3 diskutieren Wipperstein und Onufrijenko über das Klonen des Großen Morschen Romans als Genre, über den Zuckerburatino als Verhaltensmuster und über den medizinhermeneutischen Seitensprung.
Auf Kanal 4 erörtert ein Igor P. Tichi in heiligem Ernst die »Negation der Negation der Negation der Negation« im Roman »Die neunte Frau« von A. Schestigorski.
Auf Kanal 5 verbreitet sich Boruch Gross über Amerika als neues Unbewusstes von China und China als neues Unbewusstes von Russland, welches bis auf weiteres nur sein eigenes Unbewusstes sei.
Kanal 6 widmet sich den Nachkommen des Hundemenschen, welcher zu Zeiten der Weißen Wirren ein berühmter »Künstler« war. Die Welpen jaulen dem Hörer etwas über die Befreiung des Körperdiskurses vor.
Und schließlich Kanal 7 dieses Gossenradios, der wie immer der Dichtung des russischen Minimalismus und Komm-zapp-du-das-mal-weg-mus vorbehalten ist. Wsewolod Nekros rezitiert mit Dunkelmännerstimme seine hauptsächlich aus Räuspern und Krächzen nebst Füllwörtern bestehenden Verse.
Hü und hott
Das ist der liebe Gott
Hott und hü
Das ist ein Déjà vu
Piff paff puff
Das ist der Puff, wie gesagt.
Und das genügt dann auch.
Tja. Was soll man dazu sagen. Von solchem Dreck, solchem Auswurf, so viel hohlem Schall nährt sich bei uns der intellektuelle Untergrund. Ekle Polypen am Leib unserer gesunden russischen Kunst. Minimalismus, Paradigma, Diskurs, Komm-zapp-du-das-mal-weg-mus … wenn ich das schon höre! Von Kindesbeinen an sind diese Wörter mir geläufig. Aber was sie eigentlich bedeuten, ist mir bis heute ein Rätsel. Was hingegen die »Bojarin Morosowa« ist, habe ich als Fünfjähriger kapiert und weiß es bis heute. Diese ganze sogenannte moderne Kunst ist einen einzigen Pinselstrich unseres genialen Malers Surikow nicht wert. Wenn ich einmal Katzenjammer habe, Feinde mir auf den Pelz rücken, heimtückische Kreise ihre Schlingen um mich ziehen – dann genügt es, einen kurzen Abstecher in die Tretjakow-Galerie zu machen und vor das große Bild zu treten. Zu schauen. Den Schlitten mit der widerspenstigen Bojarin, wie er durch den russischen Schnee fegt, den rennenden Jungen, den feixenden Kutscher, den Narren, wie er die Hand mit den zwei gestreckten Fingern zum Kreuzzeichen erhebt
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