Tag des Opritschniks, Der
nochmal.
»Milch von der Kuh singt ohne Ruh: Übers Herze leg ich mich, böse Gifte sammle ich, zieh Wasser dazu, ruckedigu! Zum Kinde bet ich, dem Kalb wundertätig, vom Kalb nur die Knochen kommen gekrochen, Knöchelchen schlapp, klapperdiklapp, Knöchelchen bleich sterben sogleich, was fest war, erschlafft, geraubt ist die Kraft.«
»Gut«, nicke ich ergeben, »dann trinke ich ab jetzt keine Milch mehr.«
Sie nimmt meine Hand in die ihre, die knöchern und trotzdem weich ist.
»Butter solltest du essen. Der Kuhbutter geht die Kraft nicht aus: Vom Schlagen tragen, vom Kreiseln beißen, vom Klumpen pumpen, vom Liegen kriegen. Leber wetzen, Fett ansetzen. Eingebaut unter die Haut, rein in den Schaft, mehret die Kraft.«
Ich nicke noch einmal. Kuhbutter mag ich. Insbesondere auf ofenwarmem Weißbrot, mit ein paar Kügelchen Beluga-Kaviar obendrauf …
»Jetzt sag schon, was du auf dem Herzen hast.«
Ich fasse mir unter das Hemd, ziehe den Beutel aus nachtblauer Seide mit den Initialen der Gossudarin hervor. Entnehme ihm ein fein besticktes Männerunterhemd und zwei in Papier gewickelte Locken: eine schwarze und eine rotblonde. Praskowja greift zuerst nach den Haaren. Legt sie sich auf die flache linke Hand, fährt mit einem Finger der anderen darüber hinweg, schaut, bewegt die Lippen.
»Wie heißt er?«
»Michail.«
Sie flüstert etwas, über die Haarbüschel geneigt, vermengt sie miteinander, schließt die Faust darüber. Dann, im Befehlston: »Die Schale!«
Diener, kaum voneinander zu unterscheiden, huschen hin und her, bringen eine Schale mit Zedernöl, stellen sie der Wahrsagerin auf die Knie. Sie wirft die Haare in das Öl, nimmt die Schale in ihre knochigen Hände, hebt sie vors Gesicht und beginnt:
»Pappe-hafte-klebe dauerhaft und allezeit, Herz des wackren Michail, am Herz der Jungfer Tanjuschka. Pappe-hafte-klebe, pappe-hafte-klebe, pappe-hafte-klebe, pappe-hafte-klebe, pappe-hafte-klebe.«
Schließlich nimmt Praskowja das Hemd des jungen Kremlgardeoffiziers Michail Jefimowitsch Skoblo zur Hand, taucht es in das Öl. Reicht den Dienern die Schüssel zurück. Und damit hat es sich.
Die Wahrsagerin richtet ihre Augen wieder auf mich.
»Sag der Gossudarin, heute im Morgengrauen wird Michails Herz mit dem ihren anbandeln.«
»Hab Dank, Praskowja Mamontowna. Bezahlung wie üblich.«
»Nein, sag ihr, sie soll mir kein Geld mehr schicken. Was soll ich damit anfangen? Sauer einlegen? Sie sollmir Farnsamen schicken, baltischen Hering und Bücher. Meine habe ich schon alle verfeuert.«
»Was für Bücher sollen es denn sein?«, frage ich.
»Russische. Hauptsache russische …«
Ich nicke, stehe auf. Und fange an zu schwitzen: Für eine Nachfrage in eigener Sache wäre es jetzt der rechte Augenblick. Aber vor Praskowja lässt sich sowieso nichts verheimlichen.
»Was zögerst du? Hast wohl selber noch ein Begehrchen?«
»Stimmt, Praskowja Mamontowna.«
»Lass gut sein, mein Falke. Bei dir steht alles zum Besten. Und ein Mädchen ist schwanger von dir … Mach den Mund zu!«
Ach du Schande.
»Welches?«
»Na, das mit dir in einem Haus wohnt.«
Anastassija! Du liebe Güte. Dabei habe ich ihr doch die Pillen … Wahrscheinlich hat sie heimlich … dieses Miststück …
»Schon lange?«
»Etwas über einen Monat. Es wird ein Junge.«
Ich sage nichts, muss das erst einmal verdauen … Nun ja. Kommt vor, so was. Lässt sich klären.
»Oder wolltest du was Dienstliches wissen?«
»Nun ja, ich …«
»Momentan ist alles im Lot bei dir. Aber Neider gibt es.«
»Das weiß ich, Praskowja Mamontowna.«
»Um so besser, wenn du’s weißt. Sieh dich vor. Dein Auto geht kaputt nächste Woche. Und eine Krankheit wirst du dir an den Hals holen, keine schlimme. Außerdem kriegst du ein Loch ins Bein. Ins linke. Und Geld. Ein bisschen. Und eins in die Fresse. Aber nicht sehr.«
»Von wem?«
»Deinem Chef.«
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Der Alte ist für mich wie ein leiblicher Vater. Heute züchtigt er mich, morgen krault er mich hinterm Ohr. Und was das Bein angeht … Das kennen wir schon.
»Das war’s, mein Schatz. Du kannst jetzt gehen.«
Das war’s, aber doch noch nicht ganz. Eine Frage hätte ich noch. Die ich ihr noch nie gestellt habe, aber heute brennt sie mir auf den Nägeln. Die Stimmung ist danach. Ich nehme meinen Mut zusammen.
»Ist noch was?«, fragt Praskowja und schaut mir in die Augen.
»Was wird aus Russland?«
Schweigen. Konzentrierter Blick.
Ich warte mit klopfendem
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