Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
Vom Netzwerk:
säuberlich gestapelt auf seinem Bett.
    Oben auf Deck kam die Privatschwester angerauscht, am Arm eines untersetzten grauhaarigen Mannes in einem marineblauen zweireihigen Blazer mit einem rosa Ascot-Halstuch, das sich über seinem Adamsapfel bauschte. Sie tat so, als hätte sie mich nicht gesehen, aber ich starrte sie so hartnäckig an, daß sie sich zur Andeutung eines Nickens gezwungen sah. Sie segelte weiter, und ich fragte mich, ob sie absichtlich mit dem Hintern wackelte, um mich zu quälen.
    Wackel, soviel du willst. Ist mir doch egal.
    Aber es war mir nicht egal. Ich fühlte mich verraten, abgehängt. Wie konnte diese Krankenschwester nach unseren drei Tagen zu einem alten Knacker überlaufen, der die Sechzig schon hinter sich hatte? Schon vergessen, wie wir im Bett gesessen und Weißwein aus der Flasche getrunken hatten? Wie ich ihr in der Badewanne den Rücken geschrubbt hatte? Was sollte ich jetzt mit mir anfangen in den zwei Tagen bis zur Ankunft in
Irland? Ich würde auf der oberen Koje liegen und mir anhören müssen, wie der Methodist unter mir seufzte und betete. Der Schwester war das egal. Sie lief mir absichtlich auf verschiedenen Decks über den Weg, um mich zu ärgern, und wenn ich an sie und den alten Mann dachte, wurde mir übel von der Vorstellung, wie dieser welke, faltige Körper neben ihrem lag.
    Die nächsten zwei Tage herrschte Düsternis auf hoher See. Ich stand an der Reling und spielte mit dem Gedanken, mich in den Atlantik zu stürzen, hinab auf den Grund zu all den Schiffen, die im Krieg versenkt worden waren, Schlachtschiffe, U-Boote, Zerstörer, Frachter, und ich überlegte, ob schon jemals ein Flugzeugträger versenkt worden war. Das lenkte mich eine Weile von meinem Elend ab, das Nachdenken über Flugzeugträger und die Leichen, die dort unten herumschwammen und gegen die Schotten stießen, aber mein Elend holte mich wieder ein. Wenn man auf einem Schiff herumläuft und nichts zu tun hat, als ab und zu einer Privatschwester zu begegnen, mit der man drei Tage zusammen war und die es jetzt mit einem alten Mann im zweireihigen Blazer treibt, neigt man dazu, sehr wenig oder gar nichts von sich selbst zu halten. Wäre ich in den Atlantik gesprungen, hätte ihr das wenigstens zu denken gegeben, aber das hätte mir nichts genützt, weil ich es nicht mehr mitgekriegt hätte.
    Ich stand also an der Reling, das Schiff zog seine Bahn, und ich dachte an mein Leben und daran, was für ein Jammerlappen ich war. (Das war zu der Zeit eines meiner Lieblingswörter, und es stimmte.) Jammerlappen. Seit meiner Ankunft in New York bis zu diesem Tag auf der Queen Elizabeth hatte ich nichts anderes getan, als mich ziellos von einer Beschäftigung zur nächsten treiben zu lassen: auswandern, Gelegenheitsarbeiten verrichten, in Deutschland und New York saufen, Frauen nachlaufen, vier Jahre an der New York University verschlafen, eine Lehrerstelle aufgeben und die nächste annehmen, heiraten und mir wünschen, wieder ledig zu sein, noch einen trinken, in eine
pädagogische Sackgasse geraten, nach Irland fahren in der Hoffnung, das Leben würde endlich mal ein Einsehen haben.
    Gern hätte ich zu einer dieser lustigen Reisegruppen gehört, an Land oder auf See, die Pingpong und Shuffleboard spielen und dazwischen einen trinken oder sonstwas machen, aber dafür fehlte mir die Begabung. Im Geiste übte ich. Oh, hi, würde ich sagen. Wie geht’s? Und die anderen würden sagen, gut, danke, möchten Sie nicht ein Glas mit uns trinken? Ich würde Warum nicht? sagen und mich dabei betont nonchalant geben. (Das war damals auch eines meiner Lieblingswörter, weil ich erstens so sein wollte und mir zweitens der Klang gefiel.) Nach ein paar Drinks würde sich die gewünschte Nonchalance schon einstellen. Auf meine unwiderstehlich irische Art würde ich der Mittelpunkt jeder Party sein, aber ich wollte dann doch nicht von der Reling und dem Trost lassen, der darin lag, allem ein Ende zu machen.
    Die Achtunddreißig ging mir nicht aus dem Kopf. Ein alternder Lehrer auf der Fahrt nach Dublin, und immer noch Student. War das vielleicht etwas für einen ausgewachsenen Mann?
    Ich zwang mich, in einem Liegestuhl Platz zu nehmen, und hielt eine atlantische Krisensitzung mit mir selbst ab, mit geschlossenen Augen, um mir den Anblick des Ozeans und den der Privatschwester zu ersparen. Was ich nicht ausblenden konnte, waren das Klicken ihrer Stöckel und das polternde amerikanische Lachen von Mr. Ascot Uralt.
    Besäße ich auch

Weitere Kostenlose Bücher