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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Einsamkeit und sagte, wir könnten einander doch Gesellschaft leisten, obwohl es kompliziert werden könne, weil sie erster Klasse reise und ich unterhalb der Wasserlinie.
    Oh, das wär grandios, sagte sie. Sie war Halbirin und redete manchmal so.
    Wäre ich nüchtern gewesen, hätte ich es mir vielleicht überlegt, aber so erlag ich der Versuchung und vergaß meine Koje tief im Bauch des Schiffes.
    Am dritten Tag der Überfahrt schlich ich mich zum Frühstück in den Speisesaal, wo ich mich noch nie hatte blicken lassen. Der Kellner sagte fragend, ja, Sir?, und ich war verlegen, weil ich nicht wußte, wo ich mich hinsetzen sollte.
    Sir, Sie waren noch nie hier?
    Nein.
    Weil er ein Kellner war, verkniff er sich die naheliegende Frage. Ebenso der Zahlmeister, der mir mitteilte, ich sei offiziell für nicht an Bord erklärt worden. Man habe angenommen, ich sei aus einer Laune heraus mit meinen Freunden wieder an Land gegangen. Er wartete offensichtlich auf eine Erklärung, aber ich konnte ihm ja nicht gut von meinen Erster-Klasse-Erlebnissen mit der Privatschwester erzählen. Er sagte, doch, ja, sie hätten einen Platz für mich, und willkommen zum Frühstück.
    In besagter Kabine unter der Wasserlinie waren zwei Kojen. Meinen Kabinengenossen traf ich auf Knien an, im Gebet. Er erschrak, als er mich sah. Er war ein Methodist aus Idaho, der nach Heidelberg fuhr, um dort Theologie zu studieren, also konnte ich nicht damit prahlen, daß ich die letzten drei Nächte mit einer Privatschwester aus New York in einer Erster-Klasse-Kabine
verbracht hatte. Ich entschuldigte mich dafür, daß ich ihn beim Beten gestört hatte, aber er meinte, ihn könne man nie beim Beten unterbrechen, denn sein ganzes Leben sei ein Gebet. Ich fand das sehr schön gesagt und wünschte mir, mein Leben wäre auch ein Gebet. Prompt bekam ich Gewissensbisse und fühlte mich nichtswürdig und sündig. Er hieß Ted. Er wirkte geradeheraus und fröhlich, er hatte schöne Zähne und einen militärisch exakten Bürstenschnitt, und sein weißes Hemd war makellos gestärkt und gebügelt. Er war mit sich und der Welt im reinen. Gott war in seinem Himmel, einem methodistischen Himmel, und alles war in bester Ordnung. Ich war eingeschüchtert. Wenn sein Leben ein Gebet war, was war dann meines? Eine einzige Sünde? Sollten wir mit einem Eisberg zusammenstoßen, würde Ted auf Deck stehen und »Näher, mein Gott, zu Dir« singen, und ich würde das Schiff nach einem Priester durchstöbern, der mir die letzte Beichte abnehmen konnte.
    Ted fragte mich, ob ich religiös sei, ob ich in die Kirche ginge. Er sagte, ich sei herzlich eingeladen, nachher am methodistischen Gottesdienst teilzunehmen, aber ich murmelte, hin und wieder gehe ich zur Messe. Er meinte, er verstehe das. Aber wie war das möglich? Was weiß ein Methodist von den Leiden eines Katholiken, zumal eines irischen Katholiken? (Das behielt ich natürlich für mich. Ich wollte seine Gefühle nicht verletzen. Er war so aufrichtig.) Er fragte, ob ich mit ihm beten wolle, und ich murmelte wieder, ich wisse keine protestantischen Gebete, und außerdem müsse ich mich duschen und umziehen. Er bedachte mich mit einem durchdringenden Blick, wie Schriftsteller das nennen, und ich hatte das Gefühl, daß er mich bis auf den Grund durchschaute. Er war erst vierundzwanzig, aber er hatte schon einen Glauben, eine Vision, ein Ziel. Vielleicht hatte er schon einmal von Sünde gehört, aber man sah ihm an, daß er selbst frei davon war, rein in jeder Hinsicht.
    Ich sagte Ted, nach dem Duschen würde ich die katholische
Kapelle aufsuchen und an der Messe teilnehmen. Er sagte, wozu brauchen Sie eine Messe? Wozu brauchen Sie einen Priester? Sie haben Ihren Glauben, Ihre Bibel, zwei Knie und einen Fußboden, auf dem Sie niederknien können.
    Das ärgerte mich jetzt. Warum können die Leute einen nicht in Frieden lassen? Warum meinen die Leute immer, sie müßten einen wie mich bekehren?
    Nein, ich hatte keine Lust, niederzuknien und mit dem Methodisten zu beten. Schlimmer noch, ich wollte auch nicht zur Messe oder zur Beichte gehen oder sonstwas, wenn ich statt dessen auch einfach hinaufsteigen, auf Deck herumwandern, mich in einen Stuhl setzen und zusehen konnte, wie der Horizont sich hob und senkte.
    Ach, zur Hölle damit, sagte ich, nahm meine Dusche und dachte an Horizonte. Ich fand Horizonte besser als Menschen. Sie drangsalierten keine anderen Horizonte. Als ich rauskam, war Ted verschwunden, und seine Habe lag

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