Tag und Nacht und auch im Sommer
zweimal die Woche, weil ich, wie er sagte, mehr Zuwendung brauchte. Ich wollte ihn fragen, warum, aber mir dämmerte, daß seine Methode darin bestand,
mich dazu zu bringen, aus eigener Kraft die Erklärung zu finden. Wenn das so ist, dachte ich mir, wieso bezahle ich ihn dann? Warum kann ich nicht im Central Park sitzen, die Bäume und die Eichhörnchen betrachten und darauf warten, daß meine Probleme von allein an die Oberfläche kommen? Oder in einer Kneipe sitzen, das eine oder andere Bier trinken, in mich hineinschauen, mein Gewissen erforschen? Damit würde ich mir Hunderte von Dollar sparen. Ich hätte es gern rundheraus ausgesprochen, Herr Doktor, was fehlt mir? Warum bin ich hier? Ich hätte gern eine Diagnose für das viele Geld, das ich Ihnen bezahle, auch wenn ich es als armer Lehrer billiger bekomme. Wenn Sie mein Leiden irgendwie benennen können, dann könnte ich mich vielleicht schlau machen und mir überlegen, wie ich zu kurieren wäre. Ich kann nicht Woche um Woche hierherkommen und ununterbrochen über mein Leben reden, ohne zu wissen, ob ich am Anfang, in der Mitte oder am Ende bin.
Aber so hätte ich nie mit dem Mann reden können. So bin ich nicht erzogen worden. Es wäre unhöflich gewesen, und womöglich hätte ich ihn damit gekränkt. Ich wollte einen guten Eindruck machen, wollte nicht, daß er mich bemitleidete. Sicher würde er merken, wie vernünftig und ausgeglichen ich war, trotz meiner Eheprobleme und meiner Ziellosigkeit in der Welt allgemein.
Er kritzelte immer weiter in sein Notizbuch, und obwohl er es sich nie anmerken ließ, war ich überzeugt, daß er richtig Spaß mit mir hatte. Ich erzählte ihm von meinem Leben in Irland und im Klassenzimmer. Ich gab mir die größte Mühe, anschaulich und unterhaltsam zu sein, ihn zu überzeugen, daß mit mir alles zum besten stand. Auf keinen Fall wollte ich ihn irgendwie aus der Fassung bringen. Aber wenn alles zum besten stand, wozu war ich dann überhaupt hier? Ich wollte ihm eine Reaktion entlocken, ein einziges dünnes Lächeln, ein einziges kleines Wort, das mir gezeigt hätte, daß er meine Mühen zu würdigen wußte. Nichts. Er gewann. Jedesmal.
Dann erschreckte er mich. Er sagte, aha, ließ sein Notizbuch in den Schoß sinken und sah mich durchdringend an. Ich brachte keinen Ton heraus. Womit hatte ich dieses Aha ausgelöst?
Ich glaube, Sie sind auf eine Goldmine gestoßen, sagte er.
Oh, schon wieder eine Goldmine. Der Fachbereichsleiter an der Modeschule hatte mir schon gratuliert, weil ich mit meiner Lektion über die Satzteile auf eine Goldmine gestoßen war.
Alles, was ich vor dem Aha gesagt hatte, war, daß ich außerhalb meiner Unterrichtsstunden an der High School eher schüchtern sei, menschenscheu. In Gruppen könne ich mich nur schwer überwinden, überhaupt etwas zu sagen, außer ich hatte schon ein paar Gläser intus, ganz im Gegensatz zu meiner Frau oder meinem Bruder, die jederzeit auf Leute zugehen und sich sofort lebhaft an einem Gespräch beteiligen konnten. Das war die Goldmine.
Nach dem Aha sagte er, hmm. Sie könnten von der Teilnahme an einer Gruppe profitieren. Es könnte ein Schritt vorwärts sein, wenn Sie mit anderen Menschen interagieren. Wir haben hier eine kleine Gruppe. Sie wären die Nummer sechs.
Ich wolle nicht die Nummer sechs sein. Ich wußte nicht, was interagieren bedeutete. Was immer es auch war, ich wollte das nicht machen. Wie konnte ich ihm klarmachen, daß das meiner Meinung nach alles reine Zeit- und Geldverschwendung war? Auf jeden Fall mußte ich höflich bleiben. Sechs Wochen Geplapper in dem Sessel, und ich fühlte mich schlechter denn je. Wann würde ich in der Lage sein, so selbstverständlich wie Alberta und Malachy auf Menschen zuzugehen und mit ihnen zu plaudern?
Meine Frau fand das eine gute Idee, obwohl es dadurch wöchentlich teurer würde. Sie meinte, mir fehlten gewisse soziale Fertigkeiten, ich sei noch ein bißchen ungehobelt, Gruppenarbeit könnte den großen Durchbruch bringen.
Damit gab sie den Anstoß zu einem Streit, der vier Stunden dauerte. Wer war sie, mir an den Kopf zu werfen, ich sei ungehobelt
wie irgendein Mick frisch vom Schiff runter mit Kot an den Schuhen? Ich sagte ihr, ich dächte nicht daran, stundenlang mit einem Haufen New Yorker Schwachköpfe zusammenzusitzen, die über ihr Leben jammern und ihre intimsten Geheimnisse ausposaunen. Schlimm genug, daß ich als Junge meine Sünden Priestern ins Ohr flüstern mußte, die mir gähnend das
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