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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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mir hoch. Ich lächelte zurück, ging aber nicht auf sie zu. Wir waren keine Schwestern, die sich umarmten. Auf dem Tisch quoll eine riesige Torte über die Ränder einer Kuchenplatte. Sie hätte gereicht, um Schneewittchen, die sieben Zwerge und deren Frauen sattzufüttern, und es wäre noch etwas für den hungrigen Jagdhund des Märchenprinzen übrig geblieben. Die Torte war uneben und dick, hatte die Farbe von dunklem Sirup, der Zucker obendrauf sah aus wie Schnee. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Ich versuchte, mich nicht davon ablenken zu lassen. Mir war sofort klar, dass Jane sie gebacken hatte. Sie war eine Frau, die backte. Sie änderte auch Kleidungsstücke (ließ Säume heraus, nähte Knöpfe an und so weiter) und nannte das »Flicken«. Sie leitete die örtliche Mitfahrzentrale und die Mutter-und-Kind-Gruppe, war im
EB (für den Laien: das ist der Elternbeirat), in der AG (für den Laien: das ist die Anwohnergemeinschaft), nähte Kostüme und malte Kulissen für das örtliche Amateurtheater. Sie hatte alles. Einen Ehemann, der keine Sommersprossen hatte und ein gutes Niveau in Sachen persönlicher Hygiene aufrechterhielt. Drei gesunde, wunderbare Kinder, die einen schneller, als man schauen konnte, zum Lachen brachten. Ein geräumiges Familienhaus in Sutton (vor dem Grundbesitzfanatismus der 90er Jahre gekauft), mit einer Gartenbank, die langsam unter einer alten Eiche hin und her schaukelte, die im Herbst richtige Früchte abwarf. Jane beklagte sich ausgesprochen gern über ihr Lebenslos, war aber insgeheim begeistert davon, wie sich die Dinge entwickelt hatten. Man konnte es an dem Blick ablesen, mit dem sie manchmal ihren Mann ansah – ein weicher Blick.
    Ich schaute mich in der Küche um, konnte aber keine Spur von dem Zauberkünstler entdecken. Also setzte ich mich an den Tisch, nahm mir aus der Salatschüssel ein Stückchen Feta, schob es mir in den Mund und ließ es auf der Zunge zergehen.
    »Wer möchte im Wohnzimmer Scrabble spielen?«, rief James durch die Küche. Augenblicklich war er unter Kindern begraben, die an ihm hingen wie Napfschnecken an einem Felsen. Er hielt die beiden Jungen unterm Arm und sorgte dafür, dass Ella sicher auf seinen Füßen hockte und sich ihre pummeligen Arme um seine Oberschenkel schlangen. »Ich spiel auch mit«, sagte Richard, der erkannte, dass er Gefahr lief, allein unter O’Brien-Frauen in der Küche zurückzubleiben. Er folgte James, der sich aus dem Zimmer kämpfte. Plötzlich war es still in der Küche. Wir drei Schwestern saßen um den Küchentisch. »Und wo ist Jack?«, wollte ich wissen.
    »Er heißt John«, korrigierte Mam, die eben eine Lasagne
aus dem Backrohr nahm, schnell. »Er wurde in der Arbeit aufgehalten.«
    »Beim Geburtstagsfest einer Achtjährigen«, erklärte Clare. »Sie lassen ihn wohl nicht gehen, bis er jedes einzelne der Kinder hat verschwinden lassen, nicht nur das Geburtstagskind. Offensichtlich ging es eine Weile drunter und drüber bei den Kleinen.«
    »Er kann Leute verschwinden lassen?« Das beeindruckte mich, hatte ich doch vage Erinnerungen an Zauberer mit verblichenen schwarzen Umhängen, Karten, bunten Seilstücken und abgenudelten Kuscheltieren wie weißen Kaninchen.
    »Ja, Grace.« Meine Mutter stellte die Form mit einem Untersetzer auf den Tisch. »Also pass besser auf.« Ich schaute schnell zu ihr hoch, doch sie schmunzelte. Sie hatte einen Scherz gemacht und war geschminkt. Das war wirklich Zauberei.
    Aus dem Wohnzimmer drang Geheul und Zankerei. Jane stand schnell auf. »Das ist wahrscheinlich James.« Sie ging zu Tür. »Die Kinder hacken auf ihm herum und lassen ihn nie gewinnen.« Herrje, jetzt wollte wohl jeder witzig sein, alle machten Scherze und so. Zumindest nahm ich an, dass Jane gerade einen Scherz machte.
    Mam stand mit dem Rücken zu uns an der Arbeitsplatte.
    »Sollen wir dir helfen, Mam?« Ich fragte mit meiner »Ich frage nur aus Höflichkeit«-Stimme.
    »Nein, danke. Ich mache nur noch ein Salatdressing, dann können wir essen.« Während sie sprach, warf sie einen Blick zur Küchenuhr. In dem Glauben, dass niemand hinsehen würde, ging sie in die Knie, um ihr Spiegelbild in der Ofentür zu überprüfen, und fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Haare.
    Als ich mich ihr zuwandte, sagte Clare gerade: »… bei
der Hochzeit. Ich meine, wenn diese ekligen Serviettenringe aus Terrakotta das Einzige sind, was sie auftreibt, dann sollten wir vielleicht lieber ganz darauf verzichten …« Sie

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