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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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war vollgeparkt, was hieß, dass zwei Autos drinstanden. Ich erkannte Janes (Kindersitze, kopflose Puppen, abgesägte Schrotflinten – unechte -, Brösel von Cornflakes, Chips und Crackern sowie ein »Baby an Bord«-Aufkleber im Rückfenster). Mams Auto stand ebenfalls da, ein makellos gepflegter VW Polo, wie neu und doch alt, ordentlich in der Einfahrt abgestellt, bündig mit der Gartenmauer. Ich fuhr ein Stück die Straße hinunter, um einen Parkplatz zu finden. Als ich beim Haus ankam, war ich von der Wanderung die Straße hoch erhitzt und ein wenig kurzatmig – die Straße stieg leicht an. Ich warf meine Zigarettenkippe ins hohe Gras des Vorgartens und beobachtete, wie die rote Spitze glühte und verlosch.
    »Grace, wieso stehst du da so herum? Komm herein, Kind.« Meine Mutter stand im Windfang, und winkte mich mit ausgestreckten Armen zu sich. Ich war sofort auf der Hut. Mam sah begeistert aus. Noch nie hatte ich sie so glücklich gesehen. Und sie war geschminkt. Mir fiel es auf, weil an ihren Zähnen Lippenstiftspuren waren. Außerdem klebten ihre Wimpern an den Stellen, wo sie sich mit Mascara versucht hatte, zusammen. Meine Mutter trug nie Make-up. Selbst nicht, als Dad noch lebte. »Das hat sie nicht nötig«, sagte Dad immer, wenn er einen Kommentar dazu abgab. »Alle anderen Mütter schminken sich.« Wir waren über ihren Sündenfall in dieser Hinsicht enttäuscht. »Eure Mutter ist eine Natur schönheit«, erklärte uns Vater.
    Mam zog mich am Ärmel und führte mich ins Haus. Sie trug sehr dunkle, sehr neue Jeans. Eine starre Bügelfalte entlang
der Hosenbeine verriet mir, wann genau sie sie gekauft hatte (um 10 Uhr 32 heute Morgen, wahrscheinlich in Liffey Valley). Wenn sie ging, verursachten die Jeans ein leise raschelndes Geräusch. Ich erwähne die Jeans nur, weil sie bis dato immer nur Röcke in vernünftigen Farben getragen hatte, die ganz genau eine Handbreit unter dem Knie endeten, dazu – schon bevor sie in Mode kamen – Twinsets und Clogs. Sie war die richtige Frau für Clogs. Wenn man sie darauf ansprach, erwähnte sie einen holländischen Urgroßvater, der Hans Brinker geholfen hatte, diesem berühmten Jungen, der mit dem Finger den Deich gestopft hat. »Er war nicht wirklich derjenige, der den Finger hineingeschoben hat.« Stets bedacht darauf, nicht überheblich zu wirken, wollte sie, dass wir das wussten. »Aber er hat ihm Tee und Sandwichs und so weiter gebracht.« Wir befanden uns jetzt in der Diele und gingen gerade den Korridor hinunter, als die Küchentür aufgerissen wurde und Ella dastand.
    Wangen und Kinn waren mit Schokolade – vielleicht war es auch getrocknetes Blut – verschmiert. Ihre Fingernägel hatten schwarze Schmutzränder, und ich erriet richtig, dass sie im Wintergarten auf der Suche nach Würmern in den Blumenkübeln gewühlt hatte. Sie nannte sie »Wurmis«, und liebte es, die Viecher hochzunehmen und auseinanderzuziehen, um zu sehen, wie weit sie sich dehnen ließen. Nicht sehr weit, wie sich zeigte. Der Sandkasten im Garten hinter dem Haus war übersät mit den zerstückelten Leichen einst fleischiger, rosafarbener Würmer, die sich bester Gesundheit erfreut hatten, jetzt aber traurig ausgestreckt wie Gummibänder dalagen.
    »Gwayth«, lispelte sie und sprang mir auf die Füße, ihre kurzen, dicken Arme umklammerten meine Beine. Während sie vor Begeisterung kreischte, schlurfte ich mit ihr durch die Küche, wir machten das immer so.

    »Wie alt bist du?« Ich rief zu ihr hinunter, damit sie mich trotz des lauten Geredes in der Küche verstand. »Vier«, schrie sie zurück. Dann sprang sie von meinen Füßen herunter, zählte feierlich vier Finger ab und hielt sie hoch. Nicht mehr »drei«. Sie wuchs heran, bald würde sie reifer sein als ich. Wahrscheinlich würde ich bei ihrer Hochzeit Brautjunger sein, eine alte, erfolglose Brautjungfer, nicht einmal mit der Würde einer Matrone mit Auszeichnung.
    Die Küche kam einem Meer von wogenden Körpern gleich. Alle waren da: Jane und ihr Mann James; natürlich Ella und ihre beiden älteren Brüder, Thomas und Matthew, die sie unerbittlich schikanierte. James war religiös, damit will ich sagen, dass er jeden Sonntag zur Messe ging und »Oh Gott« und »verdammt« für Flüche hielt. Clare und Richard saßen am Küchentisch und bedienten sich bereits aus einer Glasschüssel mit griechischem Salat, die in der Mitte des Tischs stand.
    »Hallo, Grace.« Jane lächelte von ihrem Platz an der Stirnseite des Tischs zu

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