Tag vor einem Jahr
in die Arbeit, ich kam, nachdem ich auf die Verlockungen des Frühstücks verzichtet hatte, zu früh. Eine dreiviertel Stunde zu früh, um genau zu sein. Das hätte einen Aufstand unter meinen Kollegen gegeben, wäre irgendeiner von ihnen pünktlich da gewesen, was natürlich nicht der Fall war. Es war 8 Uhr 15, als ich an meinem neuen Schreibtisch ankam. Direkt neben Bernards Schreibtisch, an ihn geschoben, um genau zu sein, wie ein Omen. Auf dem Schreibtisch stand ein schreiend bunter Becher – leuchtend orange, umwickelt mit einem rosafarbenen Band und mit einer Schleife versehen. Etwas schiefe, kugelrunde Herzen in knalligem Rosa waren über die Außenseite des Bechers verstreut. Auf dem Henkel klebte ein gelbes Post-it: Ich habe diesen Becher gesehen und an dich gedacht. Viel Glück im neuen Job. Bernard. Ich hob den Becher hoch. Die Herzen waren aufgeprägt und wirkten fröhlich und ausgelassen. Was bedeutete das? Wahrscheinlich nichts. Trotzdem sah es schön aus. Genau das, was ich ausgesucht hätte. Und auch noch in meinen Lieblingsfarben. Wahrscheinlich gut erraten. Oder einfach nur Zufall. Ich setzte den Becher vorsichtig wieder ab und sah mich um. Noch immer war keiner da. Eine gute Gelegenheit, um sich noch einmal der To-do-Liste zuzuwenden, die ich heute Morgen auf der Fahrt zur Arbeit in Gedanken erstellt hatte:
1. Werde versuchen, die Angelegenheit mit Shane in Ordnung zu bringen. Nicht, dass es im eigentlich Sinn etwas
gab, was in Ordnung zu bringen war. Es war nur so … na ja, das Wochenende hatte sich etwas … leer angefühlt. Und ein Jahr, neun Monate, drei Wochen und vier Tage sind eine ganze Menge Zeit, die man in eine Beziehung investiert hat. Oder waren es vier Wochen und drei Tage? War mir nicht sicher. Was bewies, dass ich mich mehr auf unsere Beziehung konzentrieren musste. Jedenfalls mehr, als ich es gemacht hatte. Seit ich … na ja, wohl seit ich mit Bernard geschlafen hatte. Seit ich betrunken gewesen war und mit Bernard geschlafen hatte. Das ist ein Unterschied.
2. Werde meine Rolle als Erste Brautjungfer ernst nehmen. Nicht nur das, ich werde überall das leuchtende Beispiel einer Ersten Brautjungfer abgeben. Vielleicht verfasse ich sogar einen Ratgeber zu diesem Thema.
3. Werde eine gute Beziehung zu meiner Mutter aufbauen. Wir hatten ja einmal eine, und wir könnten sie wieder haben. Vielleicht. Kann es wenigstens versuchen.
4. Werde Patricks Grab besuchen. Wann? Bald …
5. Werde mich daran erinnern, heute Abend Granny Mary vom Flughafen abzuholen.
6. Werde Bernard O’Malley vergessen. Wen? Siehst du! Es funktioniert schon.
Ich nahm den Becher – es schien mir unhöflich, es nicht zu tun – und ging in die Küche, wo ich ganz unvorhergesehen in Körperkontakt mit dem Chef geriet, der sich hinter der Küchentür herumdrückte und möglicherweise sein Spiegelbild in dem Edelstahltoaster auf der Küchentheke bewunderte.
»Ah, Grace.« Das sagte er immer, wenn er mich erblickte. Man hätte meinen können, er wäre überrascht, dass ich es bis zur Arbeit geschafft oder tatsächlich noch immer
eine Stelle in der Firma hatte. »Großer Tag, heute, hm?« Er grinste mich an, als hätte er etwas Witziges gesagt.
»Äh, ja, ich wollte mich gerade an meinen neuen Schreibtisch setzen«, versicherte ich ihm. »Ich wollte früh anfangen, wissen Sie.«
»Aber natürlich. Wir haben sie neben Bernard O’Malley gesetzt. Haben Sie ihn schon kennengelernt?«
»Ja, habe ich.« Mein gelassener Tonfall beeindruckte mich.
»Ich denke, Sie werden gut zusammenarbeiten«, sagte der Chef, während er seine dicken, fleischigen Finger um einen Kaffeebecher presste, den er in beiden Händen hielt. »O’Malley war schon früher an so einem Projekt beteiligt, bei dem Unternehmen, bei dem er vorher gearbeitet hat.« Der Chef nannte seine männlichen Untergebenen immer beim Nachnamen. Das war vielleicht so ein Machtspiel. Oder es kam daher, dass er aus Tipperary kam und man es da unten so machte.
»Sicher werden wir das.« Ich quetschte mich an seinem massigen Körper vorbei Richtung Kaffeemaschine, die tiefe spuckende Geräusche von sich gab und die Küche mit dem starken, berauschenden Duft eines Montagmorgens erfüllte. Mein Magen knurrte, und ich klammerte mich an den kalorienarmen Jogurt, den ich heute früh aus Carolines Lager entwendet hatte. Ich habe vergessen, den siebten Punkt auf meiner To-do-Liste zu erwähnen:
7. Kein richtiges Essen bis nach der Hochzeit.
»Sie und Bernard werden
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