Tag vor einem Jahr
wedelte und der Menschenmenge, die sich vor der Kirche versammelt hatte, sanft zulächelte. Natürlich lautete sein Name
nicht Jeeves. Er hieß Milo, aber ein Mädchen wie ich fährt schließlich nicht alle Tage in einem Bentley. Die Sitze waren weich und mit dickem Leder gepolstert. Auf jeder Seite des geräumigen Fonds befand sich eine Minibar.
»Grace. Nein«, hatte meine Mutter gesagt, als sich beim Einsteigen ins Auto meine Hand danach ausgestreckt hatte.
»Ich wollte nur sehen, was darin ist«, entgegnete ich schmollend, ließ aber meine Hand sinken. Jetzt würde ich es nie erfahren.
»Oh, schaut.« Clare zeigte auf ein Auto, das im Schritttempo auf uns zukam. »Das sind Tante Joan und Onkel Malachy.« Sie waren es tatsächlich. Warum wir uns dessen so sicher waren? Der uralte Ford sah leer aus, darum. Nur Malachys verräterisch behaarte, dicke Hände, die das Steuerrad festhielten, waren zu sehen. Neben ihm, auf dem Beifahrersitz, bewegte sich ein Strohhut auf und ab, der rund um die Krempe mit allen möglichen Plastikfrüchten beladen war. Wohlgemerkt, die von der billigen Sorte: Äpfel, Orangen, Bananen. Für unsere Tante Joan gab es keine Melonen, Limetten oder Litschis. Sie hatte in Malachy den passenden Mann gefunden, der Geiz der beiden war legendär. Man denke sich nichts dabei, eine Orange heimlich in der Tasche zu schälen, Malachy hätte sie im Ganzen in seine Unterhosen hinuntergeschoben, wenn er der Meinung gewesen wäre, dass sie dort besser versteckt sei. Wir brannten darauf zu sehen, was sie Clare und Richard zur Hochzeit schenken würden. Glücklicherweise waren die Fenster des Bentley getönt, weshalb die beiden nicht sehen konnten, wie wir mit den Fingern auf sie zeigten und lachten. Manche sagen, dass Bentleys nur zu Repräsentationszwecken gut seien, aber sie haben auch ihre praktische Seite. Malachy und Joan konnten allerdings sowieso nicht über das Armaturenbrett hinausschauen,
weswegen wir so oder so auf der sicheren Seite waren. Während wir zum zweiten Mal ums Karree fuhren, schlossen wir, um uns die Zeit zu vertreiben, Wetten darüber ab, um wie viel Uhr unsere lächerlich kleine Tante und unser lächerlich kleiner Onkel den Hochzeitsempfang verlassen würden.
»Ab wann wird in der Bar kein kostenloser Grog mehr ausgeschenkt?«, fragte ich.
Clare schien diese Frage zu überraschen. »Er wird durchgängig ausgeschenkt.« Es war abzusehen, dass sie eine geborene Schlossherrin sein würde.
»Herr im Himmel, dann werden sie also bis zum bitteren Ende bleiben. Der Vorteil daran ist allerdings, dass sie in diesem Fall gegen acht mit dem Streiten anfangen werden, also ist das ganz in Ordnung so. Es gibt doch nichts Besseres als ein ordentliches kleines Gerangel bei einer Hochzeit.«
»Joan ist die älteste Schwester eures Vaters«, schniefte Mutter.
»Ist das das Netteste, was du über sie sagen kannst? Fällt dir sonst nichts ein?«, fragte ich. Mam dachte lang und eingehend darüber nach.
»Nein«, gab sie zu.
Und wieder ging es mit uns durch. Wir platzten schier vor Lachen. Mit Ausnahme von Mam natürlich. Sie hieß Lästern generell nicht gut, allerdings meinte ich, den Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen zu sehen.
Das Auto kam erneut vor der Kirche zu stehen, und wir sahen prüfend auf unsere Uhren. Fünf Minuten vor zwei. Noch immer zu früh.
»Wir können nicht noch einmal rumfahren«, sagte Clare unruhig. »Wenn wir auf der Hauptstraße die Ampel auf Rot erwischen, komme ich zu spät.«
»Stimmt, aber nur etwa zwei Minuten zu spät.« Ich tat es mit einem Achselzucken ab. »Keine große Sache.«
»Aber ich habe es versprochen.« Clare blieb hart.
»Manche Menschen kommen gerne rechtzeitig, Grace«, sagte Mam.
»Warum stellen wir uns nicht einfach auf den Schulparkplatz, gleich da oben an der Straße?« Jane sagte immer das Richtige zur richtigen Zeit. Milo seufzte erleichtert auf und schaute Jane dankbar durch den Rückspiegel an. Wahrscheinlich spürte er die Spannung zwischen meiner Mutter und mir und fürchtete um seine wunderschöne Innenausstattung – unsere Nägel waren lang und robust. Milo konnte nicht wissen, dass meine nicht echt waren.
Von der Schule aus konnten wir durch ein lichtes Wäldchen, das die beiden Gebäude voneinander trennte, Blicke auf die Leute erhaschen, die auf dem Kirchplatz standen. Ein Taxi fuhr am Kirchenportal vor, die hintere Tür öffnete sich, bevor das Auto angehalten hatte. Lange Beine, die in einer Anzughose steckten,
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