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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Schuhen, die nach diesem Tag die äußere Welt nie wieder zu sehen bekommen würden.
    »Mam, du hast das großartig gemacht.« Ich beugte mich zu ihr und küsste sie auf die Wange. Das Ganze hatte mich in Hochstimmung versetzt, und ich vergaß mich selbst.
    »Natürlich, ich hatte ja nichts zu tun, als sie den Mittelgang hinaufzubegleiten.« Sie schüttelte mich ab wie Regentropfen. Mary lächelte mir zu und schob mir eine Locke hinters Ohr. Mam wandte sich Mrs Ryan zu.
    In dem Bemühen, Caroline und Bernard aus dem Weg zu gehen, duckte ich mich und tauchte in der Menge unter. Unter Armen hindurch, die zur Begrüßung ausgestreckt waren, und in den Lücken, die sich zwischen den sich bewegenden
Körpern auftaten, entdeckte ich immer wieder sein Gesicht. Ich bewegte mich schnell und immer in die entgegengesetzte Richtung. Vor Shane war ich sicher: er war hinter einer unnachgiebigen Gruppe meiner Cousinen verbarrikadiert, die ihn gefunden hatten und entschlossen waren, ihn nicht mehr gehen zu lassen. Hätte er ihnen gesagt, dass er mein Freund war, hätten sie ihren Kreis um ihn aufgelöst, ihn zu mir zurückgeschickt und seinen Anblick von hinten bewundert. Aber er würde ihnen das nicht erzählen. Das war nicht seine Art.
    Ich ging rückwärts und ließ meinen Blick über die Menge schweifen, als ich auf Bernard prallte. Bereits eine Entschuldigung auf den Lippen, drehte ich mich um, und da stand er. Nein, er sah nicht wie Robert Redford aus. Selbst dann nicht, wenn dieser wildere Haare gehabt hätte. Er sah aus wie immer: wie der Neue vom Büro, groß gewachsen, mit dunklen Augen und jenen seltsamen Wimpern, die ein wenig wie Spinnenbeine aussahen. Mit Sommersprossen und schreiend roten Haaren. Mit Grübchen und Weste. Er hatte die Arme ausgestreckt, als befürchtete er, ich würde stürzen, doch ich brachte mich auf meinen Schuhen wieder ins Gleichgewicht und rückte etwas von ihm ab.
    »Hallo.« Er ließ seine Hände sinken.
    »Hallo«, antwortete ich zu laut.
    Der Rest war Schweigen. Warum gehörte er denn nicht zu den Menschen, die das Bedürfnis verspürten, Schweigen mit Worten, Worten, Worten auszufüllen? Stattdessen fühlte ich mich dazu genötigt.
    »War die Trauung nicht wunderschön?«
    »Wunderschön.« Das war alles, was er sagte, wobei er mich die ganze Zeit anschaute.
    »Ah, da bist du.« Es war Shane. Er wirkte zerzaust, offensichtlich musste er sich ziemlich angestrengt haben,
um sich aus dem Kreis meiner Cousinen zu befreien. Und dann fiel er geradezu über mich her, bog mich von der Taille aufwärts nach hinten, seine Arme hielten mich fest umklammert, während er mir einen langen und ausdauernden Zungenkuss verpasste. Ich wehrte mich gegen ihn, aber das hatte, in der U-Form, zu der ich verbogen war, wenig Sinn. Als er mich endlich wieder hochließ, um Luft zu holen, war Bernard noch immer da, stand felsenfest neben uns, ein angespanntes Lächeln auf seinem Gesicht.
    »Du siehst wirklich hübsch aus.« Shane klang überrascht, als er das sagte, seine Augen musterten mich von oben bis unten und ruhten einen Moment auf meinem Bauch, den ich einzog. Dann wandte er sich Bernard zu.
    »Es tut mir leid, ich war unhöflich. Ich bin Shane.« Shane reichte seine Hand zur Begrüßung.
    »Wir sind uns bereits begegnet. In Grace’ Wohnung.« Bernard schüttelte die Hand. Ein kräftiges Händeschütteln, wie mir auffiel.
    »Oh ja, stimmt. Brendan, oder?« Shane ließ Bernards Hand los und legte mir seinen Arm um die Schultern.
    »Er heißt Bernard«, sagte ich.
    »Und du bist mit meiner Schwester Caroline hier, stimmt doch, oder?«, fragte Shane betont.
    Caroline kam, und ich war noch nie so froh darüber gewesen, sie zu sehen. Sie brachte keine guten Nachrichten mit.
    »Deine Mutter steht auf Bernard. Wusstest du das?«, fragte sie atemlos.
    »Ich denke, Bernards Aufmerksamkeit gilt jemand anderen, oder etwa nicht?« Shane sah Bernard mit herausforderndem Lächeln an.
    Die ganze Zeit über stand ich mit immer röter werdendem Gesicht da. In Anbetracht der Beteiligten – ihr Bruder
und ihr Freund – konnte ich nicht einmal, wie sonst, Caroline um Hilfe bitten.
    Bernard ergriff als Erster das Wort. »Bis später, Grace.« Er berührte mich mit seiner warmen, trockenen Handinnenfläche kurz an der Schulter. »Ich muss gehen und mit deiner Mutter sprechen.« Während wir lachten, schlüpfte er lautlos davon.
    »Ich werde aus diesem Kerl nicht schlau.« Caroline knabberte an einem Fingernagel, was ihr gar

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