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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Technologie zur Identifizierung des Anrufers aufwies.
    Zehn Minuten lang saß ich mit dem Telefon in der Hand auf dem Sofa. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich den Hörer abnahm und wieder auflegte. Zweimal. Beim dritten Mal nahm ich ab, wählte und legte dann auf. Beim vierten Mal rief ich an, da ich wusste, dass ich es sowieso tun würde. Nach dem siebten Klingeln nahm er ab.
    »Hallo?«
    »Hallo, Shane, ich bin’s.«
    »Wer?«
    »Ich bin’s. Grace.«
    »Grace, entschuldige. Ich habe keinen Anruf von dir erwartet. Wie geht’s dir?«
    Ich biss mir auf die Lippen – fest – und schaffte es, die Frage zu unterdrücken, warum er keinen Anruf von mir
erwartet hatte. Schließlich hatte ich ihn gestern Morgen angerufen und eine Nachricht hinterlassen. Ich war seit einem Jahr, neun Monaten, drei Wochen und sechs Tagen seine Freundin. Nein, sieben Tagen – vier Wochen also. Man sollte meinen, dass ich nach dieser Zeit genau die Person sein sollte, deren Anruf er erwartete. Vor allem, da wir seit Mittwoch nicht miteinander gesprochen hatten. Und da hatte ebenfalls ich angerufen.
    »Grace, bist du noch dran?« Im Hintergrund konnte ich Stimmen hören. Viele. Und Gläserklirren.
    »Bist du im Pub?« Ich klang wie meine Mutter.
    »Ja.« Defensiver Tonfall.
    »Gut«, antwortete ich. »Toll. Ich fände es schlimm, wenn du ganz allein in deiner Wohnung sitzen und nach mir schmachten würdest.« Ich lachte, um deutlich zu machen, dass das ein Scherz sein sollte.
    »Hör mal, Grace, die Verbindung ist schlecht, und du bist schwer zu verstehen. Kann ich dich morgen früh anrufen?«
    »Klar. Großartig. Bis …«
    »Okay, Grace, tschüss.« Die Verbindung brach ab, und nach dem Kneipenlärm am Telefon war es sehr still in der Wohnung.
    Ich warf einen Blick auf die Uhr. Der Anruf hatte neunzehn Sekunden gedauert.
    Ich ließ mir ein kochend heißes Bad ein und gab einen großen Schuss irgendeines Badezusatzes in das dampfende Wasser. Die Flasche versprach Gelassenheit und innere Ruhe, was in meinen Ohren ganz gut klang. Ich zog mich aus, wobei ich mich hütete, in den Standspiegel zu schauen, der sich in einer Ecke des Schlafzimmers befand. Schließlich ließ ich mich in die Badewanne sinken, lag mehrere Minuten lang da, tauchte unter den Schaum ab und genoss
die Ruhe unter Wasser. Mit rotem Gesicht und außer Atem tauchte ich wieder auf und dachte an Bernard und seine SMS. Sie klang so nüchtern, was mich aus irgendeinem Grund verärgerte. Und die Tatsache, dass ich mich ärgerte, verärgerte mich noch mehr. Wobei es nicht wirklich Verärgerung war, es war etwas anderes, doch ich konnte es nicht genau definieren. Es war nicht nur der Sex. Es war mehr als das. Etwas Echtes. Ich hatte etwas Echtes gespürt. Seit ich zuletzt so empfunden hatte, war viel Zeit vergangen. Es war wie ein Schock, wie kaltes Wasser während einer heißen Dusche.
    Das Telefon klingelte, ich sprang aus der Badewanne und rannte los, rutschte auf den Fliesen aus und stieß mir das Knie an der Toilette an. Wahrscheinlich war es Shane, der mich zurückrief. Er war vor das Pub gegangen, wo es ruhiger war, damit er mich anrufen und sich dafür entschuldigen konnte, dass er vorhin so kurz angebunden gewesen war. Obwohl er ja eigentlich nicht wirklich kurz angebunden gewesen war. Ich meine, man kann schließlich nicht viel sagen, wenn man in einem Pub von Leuten umgeben ist, oder?
    Beim fünften Klingeln war ich am Telefon.
    Falsch verbunden. Jemand, der die Taxizentrale wollte. Schon wieder. Das geschah ständig. Unsere Nummern waren fast identisch.
    »Ich brauche ein Taxi.« Einmal mehr Kneipenlärm im Hintergrund.
    »Tut mir leid, Sie haben sich verwählt.« Ich weiß nicht, warum ich mich entschuldigte. Das machte ich immer.
    »Von Slatterys, in Rathmines. Ich warte vor der Tür auf Sie.«
    »Sie müssen am Ende eine sieben wählen, keine sechs.«
    »Will nur in die Stadt. Dame Street.«

    »Das hier ist nicht die Taxizentrale!« Ich schrie jetzt ins Telefon. Mir war eiskalt in meinem Evakostüm, um meine Füße herum hatte sich eine Wasserpfütze auf dem Boden gebildet.
    »Warum zum Teufel haben Sie das nicht gleich gesagt?« Er legte auf, und ich blieb einmal mehr mit dem Belegtzeichen im Ohr zurück.
    Ich humpelte wieder ins Badezimmer, mein Knie pochte, meine Zähne klapperten vor Kälte. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass Shane morgen anrufen würde. Morgen war Sonntag. Wir könnten stundenlang reden. Uns gegenseitig erzählen, was so los

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