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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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sein, diejenige, die dafür sorgen würde, dass wir aufrechter auf unseren Stühlen saßen, und die uns schon beibringen würde, wie der Hase lief. Und nach all seiner Angeberei mit ihren ganzen Qualifikationen, Erfahrungen und ihrer Ausbildung erwarteten auch wir irgendwie genau das von ihr.
    Dann öffnete sie den Mund und sprach. Sie besaß die Stimme eines Menschen, der seit dem Alter von zwei Jahren Kettenraucher war: schnarrend und heiser. Ihr Cork-Akzent war stark und klang knallhart, und wenn sie sprach – was fast ständig der Fall war -, sprudelten die Worte haufenweise heraus, so als gäbe es auf dieser Welt nicht genug Zeit, um all das sagen, was sie zu sagen hatte.
    »Hey, Leute, tut mir leid, dass ich zu spät gekommen bin. Ich war eben im Begriff, dem Boss hier zu erklären, dass ich letzte Nacht lange unterwegs war, um den neuen Job und so zu feiern, und heute Morgen hatte ich einen solchen Kopf, dass ich irgendwie den verdammten Zug nach Dublin verpasst habe. Eigentlich hätte ich gestern anreisen sollen, aber ihr wisst ja sicher selber, wie das ist, wenn die Sitzung im Pub schon beim Mittagessen anfängt, dann kann man sich irgendwie unmöglich absetzen.« Für diese drei Sätze brauchte sie schätzungsweise zweieinhalb Sekunden, und obwohl wir nicht wirklich alles verstanden, was sie sagte, mochten wir doch die Art und Weise, wie sie es sagte, sowie die Tatsache, dass das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht unseres Chefs verschwand, einem Pfannkuchen gleich, der von der Zimmerdecke fällt.
Sie war eine von uns, und das war ihm gerade schlagartig bewusst geworden.
    Innerhalb von drei Monaten nach ihrem Eintritt hatte sich Caroline als eine der gescheitesten Angestellten, die das Unternehmen jemals gesehen hatte, profiliert. Sie richtete einen »Ausschuss für Sport und soziale Belange« ein (ohne den Sportteil natürlich), wofür sie der Geschäftsleitung eine fünfzigprozentige Mitfinanzierung abschmeichelte, organisierte eine Lotto-Tippgemeinschaft (bisher haben wir 3,72 Euro gewonnen, bei zwanzig Teilnehmern), übernahm von Brian die Gewerkschaftsvertretung und rief eine erbarmungslose Lobby-Kampagne ins Leben für flexible Arbeitszeiten, mehr Urlaubstage, doppelt bezahlte Überstunden und den Einbau von Duschen – wenn möglich auch einem Whirlpool – im Sitzungsraum.
    »Für was brauchen wir diesen Raum denn überhaupt?«, fragte sie den Chef während einer unserer Montagmorgen-Versammlungen frech. Caroline joggte während ihrer Mittagspause gern und war nicht sehr angetan von den dürftigen räumlichen Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung standen (nämlich keine), um »die Geruchsbelästigung zu eliminieren«, wie sie es ausdrückte.
    Der Chef konnte sie nicht nur nicht leiden, er verabscheute sie. Wenn Caroline anwesend war, was unglücklicherweise nicht oft genug vorkam, waren unsere Meetings weitaus unterhaltsamer. Sie arbeitete als Schadensreguliererin, weshalb sie sehr viel außerhalb des Büros unterwegs war, um Versicherungsansprüche zu prüfen, Zeugen einzuschüchtern und die Aasgeier (so nannte sie die Anspruchsteller) zu tyrannisieren, damit sie für ihre grauenhaft überzogenen Schleudertrauma-Ansprüche eine magere Regulierungssumme akzeptierten. Wenn sie an den Versammlungen teilnahm, fasste der Chef sich so kurz wie
möglich – eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, wie sehr er den Klang seiner eigenen Stimme liebte – und überbrachte uns die üblichen miesen Neuigkeiten am Ende des Tages per E-Mail, unmittelbar bevor er in den Schutzraum seines BMW hechtete, um ihr aus dem Weg zu gehen.
    Kurzum, sie war das Beste, was uns in der Arbeit je widerfahren war, und wir beteten sie an.
    Trotz ihrer Schönheit und ihres Intellekts verstanden Caroline und ich uns sofort. Wir hatten dieselben Vorstellungen in Sachen Männer (wir vertraten beide die Auffassung: »Alle Männer sind potenzielle Mistkerle«, und waren trotzdem immer noch Idealistinnen), wir liebten Kleider, Schuhe und Taschen (unsere Faustformel lautete: je mehr, desto besser), und wir lachten über dieselben Dinge (etwa über Leute, die über ihre eigenen Beine stolpern; oder darüber, das Personal im Informationszentrum in der O’Connell Street zu fragen, wie die Hauptstadt von Nigeria heißt; oder sich in der Männertoilette eines Restaurants zu schminken und dabei im Spiegel zu beobachten, wie die Männer die Tür öffnen, um dann mit jenem Gesichtsausdruck wieder zurückzuweichen, den sie bekommen,

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