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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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du?
     
    a) Du trägst ein Outfit, das du bereits besitzt – denn wenn der Typ es wert ist, dann wird es ihm mit Sicherheit nicht allzu wichtig sein, wie du aussiehst, richtig?
     
    Wir wechselten wissende Blicke bei dieser Option.
    »Mein Gott, wer schreibt das Zeug?« Angewidert warf ich mich in meinem Sitz zurück. »Weiter.«
     
    b) Du belastest deine Kreditkarte bis zum Limit, bettelst, borgst und stiehlst, wenn es nötig ist, um dir ein neues Kleid samt Accessoires zu kaufen.
    »Warte. Beinhaltet ›Accessoires‹ auch Haarschnitt, Nägel, kosmetische Gesichtsbehandlung sowie Tasche, Schuhe, Strumpfhosen und Mantel?«, fragte ich beunruhigt.
    »Es kann alles beinhalten, was du möchtest, es ist nur ein dummer Psychotest in einem Magazin.« Carolines Stimme nahm den Ton an, was immer geschah, wenn sie ungeduldig wurde gegenüber meiner Detailverliebtheit, mit der ich mir so gern meine Fantasiewelt ausmalte.
    »Okay, dann ganz sicher Antwort b). Was ist die dritte Möglichkeit?«
    »Macht nicht wirklich Sinn, sie dir noch vorzulesen, wenn du dich doch ohnehin schon für b) entschieden hast.« Caroline hatte die Seite bereits umgeblättert und gab vor, in einen Artikel über Zwillingsbrüder vertieft zu
sein, die bei der Geburt getrennt worden waren und sich zwanzig Jahre später wiederfanden, als sich herausstellte, dass sie von derselben Frau hintergangen worden waren, die übrigens ihrerseits auch ein Zwilling war. Ich beugte mich über den Tisch zu Caroline.
    »Bring mich nicht dazu, zu dir rüberzukommen und …« Das Aufgleiten der Tür am oberen Ende des Waggons lenkte mich ab und brachte mich zum Schweigen. Ich sah auf, und da war er. Er stand im Eingang zum Waggon, strich sich wuscheliges blondes Haar aus der Stirn, um strahlend blaue Augen zu enthüllen, die von langen, gebogenen Wimpern eingerahmt wurden. Er besaß alles, was ein romantischer Held besitzen sollte: markantes Kinn, dunkel vor Bartstoppeln, eine ebenmäßige Nase, die über vollen, dunkelrosa Lippen aufragte. Und dann lächelte er, wobei er mir geradewegs ins Gesicht sah und zwei Reihen vollkommen gerader Zähne entblößte, weiß wie Schnee gegen seine makellose Haut. Ich riss meinen Kopf zur Seite und gab vor, meine frisch lackierten Nägel zu bewundern. Um so viele Bewohner von Cork wie irgend möglich zu verärgern, hatte ich sie in den Farben von Dublin lackiert. Einfach so zum Spaß. Er beugte sich runter, um seine Reisetasche aufzuheben, und schritt in einem makellos geschnittenen Anzug auf uns zu – dunkles Blau mit einem blau-weißen Nadelstreifenhemd.
    »Caroline«, zischte ich. »Ernstzunehmende Augenweide. 12 Uhr.« Als sie ihren Kopf zum leeren Gang hinter mir reckte, fügte ich schnell hinzu: »Meine 12 Uhr.« Carolines Kopf fuhr herum, und ihre Augen weiteten sich, als sie den Adonis wahrnahm, der auf uns zukam. Dann grinste sie und glitt aus ihrem Sitz, um ihm entgegenzugehen.
    »Hey«, begrüßte sie ihn auf ausgesprochen unkomplizierte Weise. Er setzte seine Taschen ab, bevor er ihr einen
Arm um die Schultern schlang, sie in einem rugby-mäßigen Tackling gegen seinen Oberkörper drückte und ihr so ruppig über die Haare wuschelte, dass sie elektrisch knisterten. Ich war mehr als nur ein wenig erschrocken. Carolines Haar war ihr ganzer Stolz und ihre ganze Freude. Es sah so gut wie immer perfekt frisiert aus. Bei dem Gedanken an ihre Reaktion, die auf diese Begrüßung folgen würde, zitterte ich. Vielleicht stammte er aus Belfast oder von den Färöer-Inseln, und das war dort ein traditionelles Begrüßungsritual? Ich war noch nie auf den Färöer-Inseln oder in Belfast gewesen. Carolines Antwort auf die Misshandlung bestand darin, ihren Fuß um das Bein des griechischen Gottes zu haken und ihn nach hinten zu schubsen. Er landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden des Zugwaggons und strich sich besorgt die Haare glatt. Auch Caroline strich sich die Haare glatt. Die beiden funkelten sich an und lachten gleichzeitig los. Ihr Gelächter klang identisch. Und sie sahen einander auch gar nicht so unähnlich. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis bei mir der Groschen fiel. Caroline streckte ihm die Hand entgegen und half ihm auf die Beine.
    »Grace, ich möchte dir meinen kleinen Bruder Shane vorstellen. Shane, Grace findet dich hinreißend. Sie hat dich schon genau unter die Lupe genommen, als du in den Zug gestiegen bist.«
    In diesem Augenblick hasste ich alles, was ich sonst an Caroline liebte. Ich wurde puterrot und

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