Tag vor einem Jahr
Rücken zu.
Ungeachtet der Tatsache, dass ich mich auf dem Land befand, hielt ich mich mit meinem großstädtischen Look nicht zurück und trug genug Schmuck, Pailletten und geschlitzten Stoff, um damit ein Schiff zu versenken. Caroline, die in Sachen Make-up die Auffassung »je mehr, desto besser« vertrat, schminkte mich, und während ich in gedämpftem Licht großartig aussah, hätte man mich in einer natürlicheren Umgebung löschen müssen. Wir wankten zu Ryan’s Bar in der Synge Street. Sobald ich mich mit einem großen Bierglas in der Hand auf einem Platz in der Ecke versteckt hatte, sah ich mich mit dem kalten Blick einer Dublinerin um und bemerkte Folgendes:
Leute aus Cork LIEBEN es zu reden. Sie peppen ihre Sätze mit »weißt du«-s und jeder Menge anderer Füllworter auf und sprechen in Lichtgeschwindigkeit. Okay, okay, ich übertreibe etwas, vielleicht also nur in Schallgeschwindigkeit. Oder einfach nur in halsbrecherischem Tempo. Dass ich mit Reden dran war, wurde mir erst klar, wenn jemand »weißt du« zu mir sagte und mich ansah, und nicht etwa, weil ich irgendetwas von dem verstanden hatte, was sie sagten.
Weil der Cork-Akzent so schrill und Singsang-artig klingt, könnte man die Unterhaltung in einem Pub aufnehmen und damit eine Schallplatte produzieren.
Leute aus Cork lieben alles, was aus Cork ist. Die Kehrseite davon ist, dass sie alles andere zu hassen scheinen, insbesondere Frauen aus Dublin. Ich meine, man überlege sich das mal: Kennt irgendjemand ein Paar, das in einer dauerhaften, glücklichen Beziehung lebt und bei dem der eine Teil aus Cork stammt und der andere aus Dublin? Nein? Hab ich mir gedacht.
Der Zwischenfall ereignete sich erst kurz vor der Sperrstunde. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich Mary, Moira und Marie, Carolines Schulfreundinnen, zu uns gesellt, ebenso wie Mossy. Es hatte mit Bridget nicht so hingehauen wie geplant. Inzwischen nannte er sie die Anhalterin aus der Hölle und zog, wenn er von ihr sprach, an einem imaginären Strick um seinen Hals. Er sah ganz anders aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war klein, hatte einen breiten Brustkorb und trug enge Lederhosen. Aber er war amüsant und charmant. Nachdem ich eine Weile in seiner Gesellschaft verbracht hatte, verstand ich allmählich, warum Bridget die Anhalterin ihn in ihr Leben gelassen hatte, wenn auch nur für kurze Zeit. Eine Sache war mir von der ersten Begegnung an klar, nämlich, dass Mossy in Caroline vernarrt war. Nicht unbedingt etwas Neues.
Shane stand den ganzen Abend lang an der Bar, umgeben von einer bunt gemischten Schar aus Frauen und Männern. Überwiegend Frauen natürlich. Er besaß das, was man Format nennen könnte. Die Leute hörten zu, wenn er sprach. Sie lachten mit ihm, nicht über ihn, und selbst wenn er schwieg, warfen sie – insbesondere die Frauen – ihm verstohlene
Blicke zu. Blicke voller Bewunderung, Wehmut und – im Laufe des Abends – Hoffnung. Shane schenkte allen seine Aufmerksamkeit, bezog jeden in die Unterhaltung mit ein und ließ sie im Glanz seines Lächelns baden. Abgesehen von gelegentlichem Zunicken während meiner diversen Abstecher von und zur Bartheke, wo ich mit fortgeschrittener Stunde immer kompliziertere Drinks bestellte, sprach ich nicht mit ihm.
»Ich gehe hinaus zum Rauchen«, schrie ich Caroline zu.
»Was?« Ich konnte das Wort von ihren Lippen ablesen, es aber nicht hören. Ich hielt meine Zigarettenschachtel hoch, schüttelte sie und zeigte zur Tür. Sie winkte und formte Worte mit den Lippen, die ich nicht entziffern konnte.
Ich bahnte mir durch den dichten, miefigen Lärm im Pub einen Weg nach hinten und schob mich an einem Paar vorbei, das, eingerahmt von der Türeinfassung, mit heftigem Petting beschäftigt war. Im Raucherbereich war es fast so brechend voll wie im Pub selbst und genauso heiß. Mehrere Terrassenheizer rangelten dort miteinander um einen Platz und sandten drückend heiße Luft auf mich herunter. Ich ging herum zur Seite des Gebäudes, wo es menschenleer war, und lehnte mich gegen die Wand. Sie war angenehm kühl an meinem Rücken. Ich zündete mir eine Zigarette an und atmete aus, ließ zuerst eine dicke Rauchwolke aus meinem Mund entweichen, bevor ich versuchte, Rauchringe zu blasen. Diese Kunst hatte ich nie wirklich beherrscht und auch immer nur geübt, wenn ich alleine war. Als ich das Knirschen von Schritten auf dem Schotter hörte, ordnete ich meine Züge wieder zu einem normalen Gesichtsausdruck und sah auf.
Am
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