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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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langsam, als er sich aufrichtete und mich an sich zerrte. Plötzlich war ein Schrei zu hören und das klare Krachen einer Faust auf Knochen. Der Mann sackte auf dem Boden zusammen und blieb dort liegen, aus einer klaffenden Wunde am Wangenknochen rann eine Blutspur sein Gesicht hinunter. Ich lag auf den Knien, japste wie verrückt nach Sauerstoff, meine Mundwinkel verfärbten sich blau.
    »Oh Gott.« Ich vernahm die Stimme eines Mannes und sah hoch. Es war Shane, er atmete schwer, seine Hand war zu einer Faust geballt. Mein Atem ging keuchend, und in dem verzweifelten Versuch, mich ihm verständlich zu machen, drückte ich einen imaginären Inhalator in meinen Mund. Eine Sekunde lang stand er nur da, dann griff er nach unten, packte den Mann unter den Armen und zerrte ihn von mir weg.

    »Ich bin gleich zurück, Grace. Halte durch«, brüllte er, doch die Worte verloren sich in der Dunkelheit der Nacht, die mich niederdrückte, erstickte.
     
    Als Nächstes nahm ich wahr, dass mein Kopf hochgehoben und ein Inhalator zwischen meine Zähne geklemmt wurde. Er zischte laut, und ich drängte ihm entgegen. Mein erster zusammenhängender Gedanke war, dass ich eine Nahtoderfahrung erlebt hatte, aber vor meinen Augen kein Lebensfilm aufgeblitzt war. Auch hatte ich keinen dunklen Tunnel mit einem strahlend hellen Licht am Ende gesehen. Mein zweiter zusammenhängender Gedanke galt Shane, der mir mein Asthmaspray verabreichte, mich dabei in seinen Armen hielt und fest an sich drückte. Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen, und sein Atem wehte warm gegen mein Gesicht. Gebetsmühlenartig wiederholte er:
    »Es geht dir bald wieder gut. Es geht dir bald wieder gut.«
    Und es ging mir gut. Das war der Augenblick, als ich mich in ihn verliebte. Ich meine, was blieb mir auch anderes übrig?

8
    Das Geräusch der zuschlagenden Wohnungstür riss mich aus meiner Versunkenheit. Das Badewasser war inzwischen nur noch lauwarm.
    »Süße, ich bin wieder zu Hause.« Caroline kam schnurstracks ins Badezimmer und zog den Duschvorhang vor die Badewanne. »Keine Sorge, ich kann dich nicht sehen.« Sie schloss den Toilettendeckel, setzte sich seufzend darauf und wartete, dass ich endlich fragte.
    »Wie war deine Verabredung?«, fragte ich also gehorsam, wobei ich mir den Vorhangsaum unter das Kinn zog, damit ich sie sehen konnte. Ihr sonst so makelloser blonder Glorienschein aus Haar war zerzaust, und in ihrer Jacke klaffte ein Riss, der gestern eindeutig noch nicht dagewesen war. Ihr weißes T-Shirt war zerknittert und voller Dreckspritzer. Entweder war die Verabredung richtig gut verlaufen oder richtig schlecht. Meine Neugierde war geweckt, und ich wollte Details erfahren.
    »Ich bin abgehauen«, antwortete sie so atemlos, als wäre sie meilenweit gelaufen – später erfuhr ich, dass es tatsächlich so gewesen war.
    »Oh nein, nicht schon wieder, Cats.«
    »Ich musste. Du hast ja keine Ahnung. Zuerst tanzt er in einem Anzug mit Fliege an. Zum Kaffee! An einem Samstag! Eine Fliege mit lauter winzigen Homer Simpsons drauf, die ›Nein!‹ sagen – er wollte wohl cool erscheinen oder so. Als ich dann das Café Java vorschlage, meint er:
›Auf keinen Fall, der Kaffee dort ist total überteuert, und sie führen keine Fair-Trade-Produkte.‹«
    »Keine was?« Ich versuchte mühsam, mich in der Badewanne aufzusetzen.
    »Du weißt schon, das Zeug, von dem Chris Martin die ganze Zeit labert. Er trägt doch diese Armbänder.«
    »Ach ja, richtig. Ich habe darüber was im Heat gelesen. So, er ist also politisch korrekt und hat einen unpassenden Kleidungsstil. Das ist ja wohl nicht das Ende der Welt, oder?«
    »Da kommt noch mehr.« Caroline fixierte mich mit einem ganz bestimmten Gesichtsausdruck (Augen zu schmalen Schlitzen verengt, gespitzter Mund, gerunzelte Stirn).
    »Er bringt mich also in diesen ›Coffee Shop‹«, sie spie das Wort förmlich aus, »einen miesen Schuppen mit Plastikbesteck und so einem fluoreszierenden blauen Gitterkäfig, in dem Fliegen mit Stromschlägen umgebracht werden. Es wimmelt vor Fliegen in diesem Kasten, die entweder schon tot sind oder kurz davor. Als wir dann den Kaffee bestellen, schlägt er vor, getrennt zu zahlen, weil wir uns ja eben erst kennengelernt hätten und es für keinen von uns gerecht wäre, die ganze Rechnung bezahlen zu müssen. DIE GANZE RECHNUNG. Sie belief sich, nebenbei bemerkt, auf 2,50 Euro!«
    »2,50 Euro! Großer Gott. Wo seid ihr für Eure Verabredung gewesen? In Kolumbien? Wie ging es

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