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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Bernards Hals entdeckte ich einen blutunterlaufenen Fleck, der von etwas umgeben war, was nach Bissspuren aussah: meinen Bissspuren, wenn ich mich nicht restlos irrte. Clionas Zähne, die jetzt vor Kälte laut klapperten, sahen nicht groß und stark genug aus, um eine Haut so zu durchlöchern, wie ich es getan hatte. Bernard hatte meinen Blick gesehen, zog schnell den Aufschlag seiner (wirklich hässlichen) Jacke bis zum Hals hoch und schob Cliona sanft in das Pub, seine Hand hatte er ihr dabei auf ihr sehr schmales Kreuz gelegt.
    »Wir sehen uns drinnen.« Seine Worte gingen im Lärm unter, als er die Tür aufriss, und sofort wurden die beiden von der hin und her wogenden Menschenmenge verschluckt. Die Tür fiel zu, und es war wieder still.
    Der Betrunkene war inzwischen wieder auf den Beinen und schwankte unsicher. Seinen Kopf hatte er schräg gelegt, als lausche er inneren Stimmen. Jetzt kam er auf mich zu, ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Ich drückte meine Zigarette mit der Spitze meines Schuhs aus und hechtete ins Innere des Pubs. Während ich mich durch die Menge zu unserem Tisch durchkämpfte, bemerkte ich, dass Cliona eingeklemmt zwischen Ciaran und Michael saß. Ciaran paffte inzwischen genüsslich an seiner leeren Pfeife, die Arme hatte er behaglich über seinem fülligen Körper gekreuzt. Michael dagegen schien seinen Kugelschreiber mitten auf unserem Tisch auf einem leeren Fleck auszumachen, wobei er mit einer Hand imaginäre Rauchwölkchen vom Tisch wedelte. Sie sollten sich beide überlegen, Pantomimen
zu werden. Ganz professionell. Bernard steuerte auf den Tisch zu, ein mit Gläsern randvolles Tablett in Händen, und wich dabei der wogenden Menge aus. Er verschüttete nicht einen einzigen Tropfen. Bei mir angekommen, blieb er stehen und flüsterte mir ins Ohr:
    »Tut mir leid, Grace. Ciaran hat mich entdeckt und darauf bestanden, dass wir uns zu euch setzen. Ich hoffe, das ist für dich in Ordnung?« Bernard sah so aus, wie ich mich fühlte: unbehaglich und fehl am Platz. Ich lud ihn mit einer Geste ein, sich zu setzen.
    »Ist schon ok«, versicherte ich ihm. Er drückte sich zwischen Cliona und mich und stellte ein Glas Heineken vor mich auf den Tisch.
    »Ciaran hat mir gesagt, dass du heute Abend Bier trinkst. Wenn du lieber etwas anderes haben möchtest, kann ich es dir holen.«
    »Ist schon ok.« Mein Gott, konnte ich wohl aufhören, das zu sagen? Ich sprach mit gesenktem Kopf. Wir waren wie zwei Fremde in einem Aufzug. Bernard rieb sich mit den Händen die Oberschenkel, als wolle er sich aufwärmen. Mir kam plötzlich eine Erinnerung: seine Hände, wie sie langsam über meinen Körper glitten, während sein Atem heiß an mein Ohr drang. Ich wendete meinen Blick von ihm ab und verschränkte, kerzengerade sitzend, die Arme fest vor der Brust.
    »Also, Cliona, woher kommen Sie?« Sie sah mich an, als hätte ich sie eben gefragt, ob sie tendenziell eher spuckte oder schluckte.
    »Ich komme aus Bernards Heimatstadt.« Sie steckte eindeutig ihr Terrain ab, das Kinn ein wenig nach oben gereckt. Ihr Akzent klang schrill und weinerlich.
    »Ich bin nur übers Wochenende hier. Eigentlich sollte ich schon gestern Abend ankommen, stattdessen bin ich
im Pub gelandet – hinterm Tresen. Ein Mitarbeiter meines Vaters ist in letzter Minute ausgefallen.« Sie sah mich bedeutungsvoll an, während sie das erzählte, und ich nahm zu meinem Bierglas Zuflucht. Ich senkte meinen Kopf zum Trinken wie ein Pferd an der Quelle einer Wüstenoase. Als ich wieder auftauchte, hatte sie sich mit Ciaran und Michael in eine lange Erörterung über den Dreck in der Innenstadt von Dublin vertieft und darüber, wie sehr sie den Lärm und die Hektik hier hasse. Mir wurde die Hitze von Bernards Oberschenkel bewusst, der in dem Gedränge an meinen gepresst war. Ich entschuldigte mich, ging zur Toilette, lehnte mich gegen das Waschbecken und tauchte mein Gesicht in kaltes Wasser. Ich schob die losen Strähnen zurück in meine schraubstockartige Haarspange und kühlte mein Gesicht mit nassen Händen ab. Nachdem ich mir versprochen hatte, nach diesem Glas Bier abzuhauen, ging ich hinaus in den Vorraum und lief direkt in Bernard hinein, der aus der Herrentoilette kam.
    »Grace.« Ich liebte die Art, wie er meinen Namen aussprach.
    »Du stellst mir doch nicht nach, oder?« Ich schielte leicht flirtend zu ihm hoch. Was machte ich da?
    »Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich hier tue.« Er kam ein paar Zentimeter näher, und ich

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