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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Morgen lag ich eingequetscht in der Besucherritze.
    »Gute Nacht, Ernie«, sagte der eine.
    »Gute Nacht, Bert«, antwortete der andere.
    Wie auch immer, das Bett, das ich kaufte, war ein multifunktionales Bett. Man konnte in diesem Bett leben, und genau das machte ich manchmal ganze Samstage lang. Es war sehr niedrig, was in Nächten, in denen ich zu viel getrunken hatte, praktisch war. In solchen Nächten konnte ich mit minimalem Kraftaufwand und minimaler Zurechnungfähigkeit einfach vom Boden des Schlafzimmers
aus ins Bett krabbeln, mich in Embryohaltung einrollen und eindösen. Aber – und das ist wichtig – es war nicht so niedrig, dass man darunter nichts hätte verbergen können. Der Stauraum unter meinem Bett war das Zuhause von Tellern, Tassen, Gläsern, Büchern, Zeitschriften, einer Ansammlung von Haar-Accessoires (Lockenwickler, Haarbänder, Bandanas, hübsche, aber nutzlose Haarnadeln, griffige Haarspangen, harte Kämme, runde Bürsten, Haarglättern), Schuhen, die ich nicht mehr trug (diejenigen, die ich liebte, bewahrte ich im Kleiderschrank auf, bis ich ihrer überdrüssig wurde und sie in ein Schattendasein unter dem Bett verbannte), Schokoeis-Stielen, Bonbontüten (all diese schönen Farben!) und auf links gewendetem Einwickelpapier von Galaxy-Karamellbonbons, das Bonbon, das einst an der Folie klebte, längst abgeleckt (von mir).
    Ja, ich weiß, dass ich schlampig bin, aber wenn ich mein Bett machte (meine Mutter würde es »das Bett zurechtmachen« nennen) und die Kleidungsstücke, die auf dem Schlafzimmerboden verteilt lagen, unten in den Kleiderschrank gestopft hatte, sah der Raum aufgeräumt aus, und das reichte mir. Gelegentlich – immer wenn sich in der Wohnung das ganze Geschirr verflüchtigt hatte – krabbelte ich unters Bett, bewaffnet mit dem Staubsauger und einem Plastiksack, und brachte die Welt in Ordnung.
    An solchen Tagen war Caroline stolz auf mich.
    »Das hast du gut gemacht«, strahlte sie mich dann an, ganz wie eine Erzieherin, die ein Kleinkind dafür lobt, dass es ein klitzekleines Aa in die Kloschüssel des Kindergartens gemacht hat.
    Natürlich ist Größe nicht alles (behaupten etwa Männer mit kleinen Pimmeln). Das Bett war nicht nur riesig, es war auch wunderschön. Das Rückenteil bestand aus einem großen geschwungenen Ahornbrett, an jeder Seite befand
sich ein Kerzenhalter. Das Deckbett war knallpink. Darauf platzierte ich jede Menge Kuschelkissen, die ich sorgfältig arrangierte, sodass es aussah, als wären sie achtlos auf das Bett geworfen worden. Die Farben der Kissen variierten von leuchtendem Orange über mattes Braun bis hin zu Blutrot. Von diesen Kissen gab es so viele, dass ich sie, wollte ich etwas so Banales tun wie mich schlafen legen, unter das Bett werfen musste, wo sie frierend die Nacht verbrachten, Seite an Seite mit einer angebissenen Banane, einem Honigbrot und einer halben Flasche Malibu. Wegen des Bettes war es in meinem Zimmer etwas beengt, ich besaß kein Bücherregal und musste meine Bücher auf dem Boden neben dem Bett prekär aufeinanderstapeln. Im Moment las ich die Liebesgedichte von W. B. Yeats (zum 756. Mal) und liebte sie noch immer so sehr wie damals, als ich sie, versteckt zwischen den Seiten des Just 17- Magazins, als Jugendliche zum ersten Mal las:
    Die Zeit, sie läutert ihre Schönheit nur:
Weil jene noble Anmut, die sie ziert,
Das Feuer, das sich um sie rührt, wenn sie sich rührt,
Nur klarer brennen lässt. O sie war nicht so milde,
Als wilder Sommer ihren Blick erfüllte.
     
    O Herz! O Herz! Sie muss den Kopf nur drehen,
Wie töricht Tröstung ist, kannst du dann sehen.
    Ich las diese Zeilen noch einmal, stellte mir vor, ich wäre wie die feurige und wunderschöne Maud Gonne – Schusswaffe in der einen Hand, Wimpernzange in der anderen, verheiratet mit John MacBride – und würde den einsamen, aber von der Muse geküssten Yeats seinem Schicksal überlassen. Das Ausmaß seines Verlusts und seiner Liebe
berührte mich noch immer. Konnten Männer heute noch so eine tiefe Leidenschaft empfinden? Und wenn ja, konnten sie sie in Worte fassen? Der Klingelton meines Handys unterbrach mich in meinen Gedanken.
    Für den Fall, dass meine Mutter dran war, die vielleicht instinktiv wissen würde, dass ich am Tage des Herrn um 14 Uhr noch immer im Bett lag, trällerte ich mein »Hallo?« so gut gelaunt und munter wie möglich in den Hörer. Es war nur Clare. Ich packte mir zehn Kissen gemütlich in den Rücken und machte es mir

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