Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
Vom Netzwerk:
ihn denn kennengelernt?«
    Unsere Mutter war süchtig nach Abendkursen, die
Garage unseres Elternhauses war übersät mit den Früchten ihrer Kursarbeiten. Schiefe Vasen mit dicken Rändern in deprimierenden Braun- und Grautönen aus dem Töpferkurs. Zerknitterte Notizbücher mit Eselsohren, angefüllt mit ihrer großen, verschlungenen Schrift, aus ihrer kurzen Begegnung mit dem kreativen Schreiben. Eine staubige, gelbe Gitarre mit zwei fehlenden Saiten aus dem Versuch bei einem »Musik für Anfänger«-Kurs.
    »Sie haben uns erzählt, dass jeder Mensch bis zu einem gewissen Grad musikalisch ist«, klagte sie, als sie nach nur vier der zehn Stunden Unterricht nach Hause geschickt wurde, weil sie angeblich gestört hatte. Sie sagte »angeblich«, aber für mich bestand nie ein Zweifel daran. Zu etwas Erfreulicherem: Auf einem Regal waren Trophäen und Medaillen aus den 90er Jahren aufgereiht, die vom jahrelangen Herumstehen glanzlos geworden und von dicken Spinnweben bedeckt waren und aus einer ziemlichen Erfolgsserie beim Line Dance stammten.
    Clare räusperte sich, und ich wandte ihr wieder meine Aufmerksamkeit zu.
    »Autoinstandhaltung«, sagte sie mit leiser Stimme. »Sie haben sich bei einem Kurs über Autoinstandhaltung kennengelernt. Sie glaubte, so ohne Patrick … na ja … du weißt, was ich meine, sollte sie lernen, wie man, na ja, Reifen wechselt, mit einen Ölmessstab umgeht und solche Sachen.« Clare verstummte.
    Ich empfand einen stechenden Schmerz in meinen Augen und dachte an Patrick. Er war ein technisches Genie: Das musste man auch sein, um mein Auto fahrtüchtig – ich benutze den Ausdruck mit Bedacht – zu halten, etwas, das er mit Begeisterung und ohne Fragen zu stellen einfach machte. Fragen wie zum Beispiel: Warum tankst du Diesel, wenn auf dem Aufkleber neben dem Benzintank eindeutig
»bleifrei« steht – und zwar in Großbuchstaben und leuchtendem Gelb für Idioten wie mich? Er fragte mich das nie. Er brachte es einfach in Ordnung. Statt hohe Summen zu addieren und subtrahieren, wofür er, wie er sagte, nun mal bezahlt wurde, fühlte er sich bedeutend wohler, wenn sein Rücken auf einem einundzwanzig Jahre alten Skateboard unter einem Auto lag.
    Mein Kopf war voll mit Fragen. Wie etwa: Was in Gottes Namen machte Jack Frost, ein erwachsener Mann – meinetwegen auch ein Zauberkünstler -, wahrscheinlich Anfang oder Mitte sechzig, in einem Kurs über Autoinstandhaltung?
    »Clare, willst du damit sagen, dass Mam mit diesem Kerl zusammen ist und ihn zu deiner Hochzeit mitbringt?«, fragte ich langsam in dumpfem Tonfall.
    »Ja«, antwortete sie rundheraus. »Sie möchte einfach nicht mehr immer auf sich selbst gestellt sein. Sie sagte, das wäre ihr auf Dauer zu einsam. Jack ist ein Netter, du wirst ihn mögen.«
    »Du hast ihn kennengelernt?« Ich sagte das in schärferem Ton als beabsichtigt. Meine Hand legte sich fester um das Telefon.
    »Grace, es ist nicht, wie du denkst«, widersprach Clare. »Er war gestern Abend zufällig im Haus, als Richard und ich vorbeikamen. Sie schauten fern und tranken Tee. Er tut ihr gut, bringt sie zum Lachen. Vielleicht ist das ihre Art weiterzumachen. Vielleicht solltest du …« Hier brach sie ab.
    »Vielleicht sollte ich was?«
    »Vielleicht solltest du es auch so machen.« Clare sagte das so leise, dass ich mich anstrengen musste, sie zu verstehen. Dann wartete sie darauf, dass ich in die Luft ging. Was ich nicht tat. Stattdessen legte ich auf.
    Ich sprang aus dem Bett und stieß mit der Zehe sofort
gegen eines der Bettbeine (geschwungener Ahorn mit einem anbetungswürdigen Katzenpfoten-Design am unteren Ende). Die nächsten dreißig Sekunden verbrachte ich damit, vorsichtig um die Ecke des Bettes zu hüpfen, meinen pochenden Zeh in der Hand und jaulend wie ein Kater, dessen Angebeteter das Fell abgezogen worden war.
    »Grace, was zum Teufel machst du da drin?«, schrie Caroline aus der Küche. »Wenn du wieder Telefonsex hast, könntest du wenigstens nicht so einen verdammten Lärm veranstalten.« Ich hoppelte aus meinem Schlafzimmer.
    »Was meinst du, würde ich wohl das anhaben, wenn ich Telefonsex hätte?« Ich griff nach meinem Baumwollnachthemd, das einem großen Zelt glich und vorne drei Bären darauf hatte, die auf einer schönen kleinen Waldlichtung vor ihrem soliden Cottage standen. Das Bild war offensichtlich entstanden, bevor sie entdeckten, dass Goldlöckchen ihr Frühstück gestohlen und das Haus demoliert hatte. Caroline saß am

Weitere Kostenlose Bücher