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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Stadium ohne Make-up sieht – bringe es ihm also besser schonend bei.«
    Ihre Antwort hörte ich nicht mehr, da ich auf dem Weg in die feucht-kühle Nacht war. Ich löste meine Haare und legte sie mir um Ohren und Hals, um mich warmzuhalten. Während ich mir eine Zigarette anzündete, dachte ich kurz daran, es mir abzugewöhnen, bevor ich meine Lippen an den Filter presste und gierig den Rauch in meine Lungen sog. Energisch schritt ich durch das Halbdunkel, den Kopf gesenkt, die Hände in den Taschen meines Mantels vergraben, Rauchwölkchen quollen aus meinem geöffneten Mund.
    Auf dem Weg zu Clare sah ich drei schwarze Katzen, die alle meinen Weg kreuzten, eine von ihnen zweimal. Ob das Glück oder Pech bedeutete, wusste ich nicht mehr. Vermutlich Letzteres.
    Clare und Richard lebten in einem Reihenhaus aus den 20er Jahren in unmittelbarer Nähe zur Rathgar Road. Von außen sah es klein aus mit seinem geradezu pedantisch ordentlichen Vorgärtchen und seinem gepflasterten Weg, der zu einer massiven Eingangstür aus Holz führte, auf der ein blank polierter Messingklopfer angebracht war. Im Inneren war es erstaunlich geräumig, und die Zimmer hatten herrlich hohe Decken mit aufwendigen Zierleisten.
    Richard, ein cleverer Kerl und dazu gut betucht, hatte es damals in den Achtzigern erstanden, als die Leute lieber in die Äußere Mongolei (wo bitte liegt die überhaupt?) emigrierten, als in Irland ein Haus zu kaufen, für einen Apfel und ein Ei. Jetzt ist es Myriaden von Euro wert, und
obwohl der Euro ziemlich nutzlos ist, ist das noch immer eine Menge Geld.
    Clare öffnete im Schlafrock die Tür. Unter dem hoch aufragenden Türrahmen wirkte sie klein. Sie war eine Stubenhockerin und nahm ihre Pflichten in dieser Hinsicht sehr ernst. Sie liebte es, zu Hause zu sein, vorzugsweise in einem ihrer Schlafanzüge, und sich um alles zu kümmern. Etwa die ausgedehnte Ansammlung von Topfpflanzen, ihre Katze (George), ihr Haar (sie war versessen darauf, es in Wellen zu legen), ihren Verlobten (»Richie Rich« oder – wie er bevorzugte – Richard). Heute Abend steckte ihr Haar unter einem weißen, zu einem Turban geschlungenen Handtuch, und ihre Zehen – leuchtend orange lackiert – wurden mit Baumwollbällchen voneinander getrennt.
    »Grace!« Sie strahlte mich an. »Schön dich zu sehen.« Sie zog die Tür weit auf und bat mich hinein. Dass ich bei unserem letzten Gespräch einfach aufgelegt hatte, hatte ich ganz vergessen. Ich beugte mich runter und umarmte sie sanft. Sie war wirklich winzig, bei ihr musste ich vorsichtig sein.
    »Sorry, dass ich so eine Drama Queen war neulich am Telefon«, sagte ich.
    »Ist schon vergessen.« Sie führte mich in die Wärme des Wohnzimmers, wo ein Feuer im Kamin loderte.
    »Hast du schon zu Abend gegessen?« Clare kochte in der Regel nicht – mal abgesehen von Toast-Sandwichs und Ofenkartoffeln -, war aber eine große Anhängerin von Take-away-Gerichten. Sie hatte sie in einen schwarzen, mit einem Farbcode versehenen Ordner abgeheftet, in alphabetischer Reihenfolge nach Sorten geordnet und zudem mit einem komplizierten Bewertungssystem versehen, für das sie goldene Sternchen benutzte, wie sie bei Grundschullehrern beliebt sind.

    »Ich bin satt, danke.« Ich zog meinen Mantel aus und sank auf das Sofa.
    »Wo ist Richard?«, fragte ich. Sie grinste.
    »Der musste seine Mitarbeiter zu einer Teambildungs-Maßnahme einladen. Er ist in den Wicklow Mountains und hat heute Paintball gespielt.« Wir lachten uns tot. Man muss Richard wahrscheinlich so gut kennen wie wir, um zu wissen, dass er sich lieber mit einem Schneidbrenner seine Eier hätte abtrennen lassen, als auf einem Berg vor bewaffneten Angestellten, die vielleicht bei der letzten Revision mit ihrer geringfügigen Lohnerhöhung nicht ganz zufrieden waren, um sein Leben rennen zu müssen.
    »Was hat er an?«, fragte ich japsend. Richard trug immer Anzüge. Makellose Anzüge. Mit Manschettenknöpfen.
    »Er hat sich einen Trainingsanzug gekauft.« Clare konnte kaum die Worte herausbringen, und ich stellte mir Richard vor, wie er in einem Trainingsanzug mit dunkelblauen Streifen, den Reißverschluss bis zum Kinn hochgezogen und die Hose leicht um seine Beine flatternd, um sein Leben rannte. Selbst jetzt noch kann dieses Bild einen hysterischen Anfall bei mir auslösen.
    »Was ist mit dir los?«, wollte Clare wissen, als unser lautes Gelächter zu vergnügtem Seufzen verebbt war.
    »Wie meinst du das?« Ich wollte so viel mit ihr bereden,

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