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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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sprach.
    Wir saßen eine Ewigkeit da und beobachteten sie schweigend. Im schattigen Licht des Spätnachmittags erschienen sie wie mystische Gestalten mit ihren schmalen Gesichtern und langen Ohren, die beim kleinsten Geräusch zuckten. Ihr rotes Fell glühte im Zwielicht wie heiße Kohlen. Dann waren sie fort. Sie hatten sich so anmutig in den Schutz der Bäume begeben und waren so schnell verschwunden, dass ich dachte, ich hätte mir alles nur eingebildet.
    Bernard und ich saßen im warmen Auto und sagten nichts. Trotzdem fühlte ich mich nicht unbehaglich. Das Summen der Lüftung und das leise Rattern des Motors im Leerlauf schienen fast wie ein leises Gespräch zwischen uns. Ich hätte ihm gerne von Patrick erzählt, aber ich wusste nicht, weshalb, und auch nicht, wo ich anfangen sollte.
    Stattdessen fragte ich: »Wie geht es Cliona?«, und bereute es sofort. Er antwortete nicht gleich, und plötzlich hatte ich große Angst vor dem, was er sagen würde.
    »Du musst wissen, dass sie nicht meine Freundin ist.«
    »Oh«, war alles, was ich sagte.
    »Sie war die Freundin meines Bruders«, sagte er schließlich, und ich atmete aus. Es war mir bis zu diesem Augenblick nicht aufgefallen, dass ich den Atem angehalten hatte.
    »Edward. Er ist auch gestorben. Vergangenes Jahr. Deshalb
bin ich diese Woche nach Hause gefahren, zur Messe an seinem Todestag.«
    »Das ist irgendwie seltsam«, bemerkte ich. »Dein Bruder und mein Bruder sind beide tot. Die meisten Leute haben andere Dinge gemeinsam, etwa Musikbands, die sie mögen, oder einen allgemeinen Abscheu gegen Lakritzkonfekt.«
    »Ich verabscheue Lakritzkonfekt«, sagte er.
    »Jede Sorte? Selbst die Schnecken?«
    »Jede einzelne Sorte von diesem Zeug.« In diesem Punkt war er unnachgiebig.
    »Ich auch.« Ich riskierte einen Blick in seine Richtung, um festzustellen, ob diese Unterhaltung okay für ihn war. Er lächelte und sah mich geradewegs mit diesem scheuen Blick an, mit dem Leute einen ansehen, die sich überlegen, einen zu küssen. Und ich wünschte es mir – dass er mich küsste, meine ich. Noch nie hatte ich mir etwas mehr gewünscht. Vielleicht hatte ich sogar meine Augen geschlossen, ich weiß es nicht mehr.
    Und dann sagte er: »Wie läuft es mit Shane?« Es war, wie wenn ein Glas auf einen gefliesten Boden fällt.
    »Er kommt morgen übers Wochenende her.«
    Und das war’s dann. Der Augenblick war verschwunden, so schnell wie die Rehe, und ich blieb zurück mit dem inzwischen schon vertrauten Schuldgefühl und der Möglichkeit, dass ich mir diesen Augenblick überhaupt nur eingebildet hatte.
    »Du fährst besser zur Arbeit zurück«, schlug ich vor, und er nickte und fuhr langsam aus dem Park hinaus. »Oh Scheiße!« Plötzlich fiel es mir ein. »Könntest du mich bitte mit ins Büro nehmen? Ich habe mein Auto dagelassen.«
    »Du hast dein Auto vergessen?« Er schien sich darüber zu amüsieren.

    »Ja, aber es ist wirklich sehr klein«, sagte ich. Er nickte, als könnte er das voll und ganz nachvollziehen.
    Bernard fuhr langsam und behutsam durch das Kriegsgebiet, das die Innenstadt von Dublin an diesem Nachmittag darstellte. Er hupte nicht, erhob seine Stimme nicht, gestikulierte nicht wild mit den Händen und stieg nicht irgendwann aus seinem Auto aus, um einen anderen Fahrer anzupöbeln, obwohl all das bei diesem Verkehrschaos durchaus vertretbar gewesen wäre. Aus irgendeinem Grund fragte ich mich, welche Sorte Hund er hätte, wenn er einen besäße. Einen Labrador, dachte ich mir.
    »Grace, du bist ganz in Gedanken versunken.« Bernards Stimme schien weit weg zu sein, und ich befürchtete, Selbstgespräche geführt zu haben. Manchmal machte ich das.
    »Über was hast du nachgedacht?«
    »Ähm, Labradore, um ehrlich zu sein.« Er schien nicht einmal überrascht zu sein, sondern nickte einfach nur, bog in den Parkplatz ein und blieb hinter meinem Auto stehen.
    »Tja«, sagte ich, weil ich nicht so recht wusste, was ich sagen sollte. »Vielen Dank fürs Mitnehmen und, äh, alles.«
    »Gern geschehen, Grace. Es war schön.« Er sah aus, als meinte er es auch so. Wieder diese drückende Spannung zwischen uns. Oder bildete ich mir das alles nur ein? Eins weiß ich, es wäre das Natürlichste von der Welt gewesen, mich zu ihm hinüberzuneigen. Aber ich tat es nicht. Ich verabschiedete mich wie ein normaler Mensch und stieg aus dem Auto aus, ohne mein Schienbein an der Tür anzuschlagen oder meinen Kopf am Dach. Als ich mich umdrehte, um zu winken, winkte er

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