Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
Vom Netzwerk:
Er ging die Straße langsam hinunter, bahnte sich seinen Weg durch das Gedränge, darauf bedacht, dass seine langen Arme nicht gegen irgendwelche Fußgänger stießen.
    Ich musste um ein zweites Päckchen Zucker bitten. Die Bedienung hatte nur eines auf der Untertasse neben die winzige Tasse gelegt. Ich brauchte etwas Süßes, und zwei Zucker waren die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass ich einen Schokoladenmuffin bestellte.
    Als Bernard zurückkam, zündete ich mir gerade erst meine zweite Zigarette an. Er blieb genau vor dem Café stehen, stieg aus dem Auto und winkte mir. Hinter Bernards Wagen bildete eine Reihe von Autos eine geordnete Schlange. Er schien es nicht einmal dann zu bemerken, als
die Hupen schmetterten und drohende Fäuste durch offene Autofenster gestreckt wurden.
    Ich warf etwas Kleingeld auf den Tisch und rannte zum Auto.
    »Wie war der Kaffee?« Blind und taub gegenüber der Gefahr, in der er schwebte, schien Bernard über das Autodach hinweg ein Gespräch anfangen zu wollen.
    »Äh, ich glaube, wir sollten losfahren. Schnell!« Ein Fahrer aus einem der Autos hinter uns stieg aus und hielt etwas in der Hand. Vielleicht einen Baseballschläger? Ich stieg hastig ins Auto, doch Bernard ließ sich Zeit und machte es sich gemächlich auf dem Fahrersitz bequem, der ganz nach hinten geschoben war, sodass er praktisch auf dem Rücksitz aufsaß. Seine Finger legten sich um das Lenkrad.
    »So«, sagte er, als würde er sich nicht in akuter Gefahr befinden, von den Leuten aus den Autos hinter uns eine ordentliche Tracht Prügel zu kassieren.
    »Wir fahren wohl besser los«, schlug ich vor. »Wir halten den Verkehr auf.«
    Erst jetzt schaute er in den Rückspiegel.
    »Ja«, nickte er leichthin. »Die Dubliner Autofahrer sind wohl ziemlich ungeduldig, nicht wahr?« Er drehte ein und setzte von der Bordsteinkante weg, und die Ordnung war wiederhergestellt. Jetzt saßen wir alle fest und warteten an der roten Ampel, während auf der anderen Straßenseite vier Männer in fluoreszierenden gelben Westen mit Bohrstöcken herumpickten.
    »Also, wohin möchtest du?«
    Plötzlich wollte ich nicht mehr nach Hause.
    »Irgendwohin, wo es keine Spiegel gibt. Und auch keine kleinen Kinder. Ich möchte sie nicht erschrecken.«
    Bernard lachte. »Ich kenne genau den richtigen Ort.«
    »Musst du nicht zurück ins Büro?«, fragte ich, als klar wurde, das er nicht in diese Richtung fuhr.
    »Ja und nein.« Als Antwort schien das völlig akzeptabel. Im Auto war es sauber, aber unordentlich. Bücher und Kaffeebecher aus Pappe lagen über den Rücksitz verstreut. Eine zerknautschte MacDonalds-Tüte rollte über den Boden.
    »Wohin fahren wir?«, fragte ich endlich.
    »An einen Ort, den ich liebe. Du kennst ihn gut, aber ich bin in dieser Stadt noch immer Tourist, erinnerst du dich?«
    Es war der Phoenix Park, wie sich herausstellte.
    »Mein Vater hat mich, meinen Bruder und meine Schwestern immer hierher mitgenommen, als wir Kinder waren.« Ich setzte mich gerade hin. »Ich war seit Jahren nicht mehr da.«
    »Ich wette, du bist eines der mittleren Kinder.« Bernard grinste mich ein bisschen an.
    Plötzlich schien der Platz im Auto um mich herum zu schrumpfen.
    »Ja«, sagte ich daraufhin. »Ich habe eine ältere Schwester und eine jüngere, Clare und Jane.«
    »Was ist mit deinem Bruder?« Bernard schien nicht zu bemerken, dass etwas nicht stimmte, er war damit beschäftigt, den Wagen einzuparken. Wir befanden uns in einem Teil des Parks, in dem ich noch nie zuvor gewesen war. Äste von hohen Bäumen und lange Gräser strichen die enge Straße entlang, in der wir gehalten hatten.
    »Er ist letztes Jahr gestorben.« Es war das erste Mal, dass ich das wirklich sagen musste, um eine Erklärung zu geben.
    »Wie hieß er?« Es war eine Erleichterung, dass er nicht sagte, es würde ihm leidtun, oder mich umarmte oder seinen Kopf über die Ungerechtigkeit von alldem schüttelte.

    »Patrick«, sagte ich und lächelte, denn Patricks Gesicht tauchte vor mir auf, ganz so wie es gewesen war, und zum ersten Mal seit langer Zeit musste ich mich nicht anstrengen, um mich zu erinnern, wie er ausgesehen hatte. Ich drehte mich zu Bernard – und sah sie. Etwa zwanzig oder sogar dreißig Rehe und ein paar Junge. Sie standen bewegungslos und mit schräg gelegten Köpfen in einem Kreis, als würden sie darauf warten, dass sich etwas ereignete.
    »Schau.« Ich flüsterte das Wort aus Angst, dass sie verschwinden würden, wenn ich lauter

Weitere Kostenlose Bücher