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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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wies ich die Farbe eines Oompa Loompas aus Charlie und die Schokoladenfabrik auf. Der Rest von mir trug eine geisterhafte Blässe. In dem dramatischen Sonnenuntergang meines Gesichts wirkten meine grünen Augen wie zwei stecknadelgroße Punkte. Ich konnte nicht weinen, denn damit hätte ich vielleicht das Weiß meiner
Augen gerötet: die letzten hellen Stellen und Außenposten eines normalen Gesichts.
    Tanya schlug eine überwachte Sitzung mit Thomas für meine Seiten und meinen Rücken vor, aber ich wollte das Risiko nicht eingehen, sondern entfernte mich, einen Gutschein für eine kostenfreie Bräunung bei Tans-R-Us umklammernd. Bis heute liegt dieser Gutschein in der obersten Schublade meines Nachttischs, durch Alter und Missachtung haben sich inzwischen die Ecken eingerollt.
    Außerdem gab sie mir eine besondere Körperbürste mit, die ich benützen sollte, wenn ich zu Hause war. Zumindest sagte sie, dass sie besonders wäre.
    »Ich rufe Ihnen ein Taxi, damit Sie nicht so die Straße entlanglaufen müssen«, schlug sie vor.
    »Nein, das ist so in Ordnung.« Ich konnte es kaum erwarten, von hier wegzukommen. In Tan-R-Us gab es keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Jede Ecke war mit Licht überflutet. Und mit wunderschönen Leuten. Ich musste weg.
    »Wollen Sie einen Hut, den Sie sich übers Gesicht ziehen können?« Mir war klar, dass Tanya nur versuchte, mir zu helfen.
    »Nein.« Ich händigte ihr ein enormes Trinkgeld aus. Es war nicht ihre Schuld, dass Thomas ein so rachsüchtiger Mistkerl war.
    An diesem Nachmittag quoll Dublin vor Leuten über, die meisten von ihnen schienen die Straße vor dem Schönheitssalon entlangzugehen. Ich schaffte es, in die Dame Street zu gelangen, doch dann geschah es.
    »Grace? Bist du das?« Oh nein, gütiger Himmel, ich erkannte die Stimme. In der Hoffnung, dass er glaubte, sich geirrt zu haben, hielt ich meinen Kopf gesenkt und ging weiter. Er tat es nicht.

    »Grace?«
    Er befand sich unmittelbar vor mir, versperrte mir den Weg. Ich musste stehen bleiben, sah zugeschnürte Schuhe mit runtergetretenen Absätzen, sah den unteren Rand einer Jeans, der lose über dünnen Knöcheln flatterte. Eigentlich wollte ich nicht hochschauen, aber mir blieb nicht viel anderes übrig. Ich schaute hoch.
    »Um Gottes willen, Grace. Was ist passiert?«
    »Oh, hallo, Bernard.« Ich sagte es so beiläufig, als hätten wir uns zufällig im Büro getroffen und ich hätte nicht wie ein geröstetes Käsesandwich ausgesehen. Was zum Teufel machte er hier?
    »Was ist mir dir passiert?«, fragte er erneut.
    »Hatte einen Zusammenstoß mit einem neuen Mitarbeiter in einem Bräunungsstudio«, sagte ich mit einem unechten Lachen.
    »Na ja, du siehst allerdings … sehr … äh … sehr gebräunt aus«, sagte er schließlich, und ich liebte ihn dafür, dass er mich nicht auslachte.
    »Nichts, was nicht ein Eimer voll Bleichmittel wieder in Ordnung bringen könnte«, entgegnete ich.
    »Sieh das Positive daran: Deine Zähne sehen gegen die, äh, Bräune unglaublich weiß aus. Du könntest Werbung für Zahnpasta machen. Natürlich nur sofern sie den Rest deines Gesichts schwärzen.«
    Darüber mussten wir beide kichern.
    »Wohin gehst du gerade?«, fragte er.
    Ich hatte es total eilig gehabt, aus dem Salon herauszukommen, über ein Ziel hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Als ich nicht gleich antwortete, bot mir Bernard an, mich mitzunehmen.
    »Das ist nicht notwendig, wirklich«, begann ich.
    »Ich bestehe darauf«, sagte er lächelnd und ohne seine
Augen von der Tragödie meines Gesichts abzuwenden. Dafür bewunderte ich ihn.
    Sein Wagen stand in einer nahe gelegenen Werkstatt, und Bernard war im Begriff, ihn abzuholen. Unmittelbar vor uns befand sich ein Café mit einem kleinen runden Tisch davor, der nicht besetzt war.
    »Warum setzt du dich nicht hierher, rauchst eine Zigarette und trinkst einen Kaffee, während ich das Auto hole und es herbringe?«
    Woher wusste er, dass mich meine Füße in diesen Absätzen umbrachten? Und dass ich meine eigene Großmutter für einen Espresso im Regen hätte stehen lassen? Und für eine Zigarette? Bevor ich zustimmen konnte, war er weg. Ich sank auf den Stuhl. Dank der Sonnenstrahlen und dem Glimmen meiner Zigarette fühlte sich der kalte Stahl unter meinem Hintern gleich weniger kalt an. Ich sah zu, wie Bernard die Straße hinunter verschwand. In dem trüben Licht des Nachmittags wirkte sein rotes Haar weicher, hatte weniger von dieser Farbe roher Karotten.

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