Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
Vom Netzwerk:
auf.
    »Es tut mir leid, Shane. Du hast Recht. Wir sind noch nicht so weit. Ich war dumm.« Dann küsse ich ihn und spüre, wie er sich entspannt, spüre, wie sich die Worte, von denen ich nicht will, dass er sie ausspricht, in seinem Stöhnen in Luft auflösen, während wir zum Schlafzimmer gehen. Hier sind wir vollkommen. Wir passen zueinander. Schloss und Schlüssel. Samson und Delilah. Die Schöne und das Biest. Unsere Leidenschaft gibt uns Auftrieb, schützt uns voreinander. Hinterher bin ich hungrig. Ich schlüpfe aus dem Bett, setze mich auf den Badewannenrand und futtere einen extragroßen Marsriegel. Die Badezimmertür ist abgesperrt. Ich bin auf der sicheren Seite.

24
    Am nächsten Morgen geschah etwas Seltsames. Ich wachte vor dem Klingeln des Weckers auf. Und außerdem lächelte ich, mir war aber nicht klar, warum. Gedanken sickerten in meinen Verstand wie Sirup auf einen Pfannkuchen.
    Bernard: Sein Bild setzte sich in meinem Kopf zusammen wie ein Puzzle. Ich überlegte mir, wie man eine Gruppe von Rehen bezeichnete. Es war keine Herde. So viel wusste ich. Auch kein Rudel. War es ein Haufen? Ein Haufen Rehe? Nein, das klang falsch. Ein Sprung? Ja, ein Sprung Rehe. Dann dachte ich an einen Schokoladenaufstrich. In einem Glas. Einem richtig großen. Mein Lächeln wurde breiter, und ich vergrub mich tiefer in meinem Bett, das kuschelig warm war. Und dann erinnerte ich mich. Es dauerte eine Weile, aber ich erinnerte mich. Erinnerte mich daran, warum ich so früh aufgewacht war. Warum ich lächelte. Es war Shane. Er kam heute. Übers Wochenende. Ich lief zum Badezimmer und stellte mich auf die Waage, wobei ich meinen Bauch einzog. Ich wog genauso viel wie gestern Morgen. Und an dem Morgen davor. Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, einen Tag krankzumachen, aber mein Gesicht sah nicht mehr so schlimm aus, wie ich es von gestern in Erinnerung hatte. Ein bisschen weniger Oompah Loompah, stattdessen jetzt ein bisschen mehr Opfer einer Gelbsucht. Egal, ich wollte ins Büro, und ich wusste auch, warum. Aber ich sprach es nicht laut aus. Hätte ich es laut ausgesprochen, hätte ich es Wirklichkeit
werden lassen und mich vielleicht damit auseinandersetzen müssen. Wenn man es nur dachte, zählte es nicht. Es zählte kein bisschen.
    Freitag war im Büro Casual Friday, in Wirklichkeit hätte man ihn aber Tag des Stylings nennen müssen, denn auch wenn wir fast alle Jeans trugen, waren es unsere allerbesten Jeans. Diejenigen, die uns schlanker und langbeiniger aussehen ließen als die anderen Jeans. Dazu elegante Oberteile und High Heels und tonnenweise Make-up und schicke Taschen und Klunker, so viel es ging. Ich frisierte mein Haar zu seinem Pferdeschwanz, löste es wieder, frisierte es zu einem Knoten, löste es wieder, frisierte es zu Zöpfen. Dann löste ich es wieder und ließ es offen. Jetzt war ich zu spät. Schon wieder. Im Ernst, mein Haar benötigt sehr viel Zeit, um gebändigt zu werden, und es ist so schwer, dass meine Arme vom Anheben und wieder Runternehmen wehtaten.
    Den größten Teil des Tages verbrachte ich damit, meinen Schreibtisch auszuräumen. Am Montag würde ich in die EDV-Abteilung umziehen, um meine neue Stelle anzutreten. Es war wie der Umzug eines Haushaltes, nur schlimmer, denn kein Umzugswagen stand zur Unterstützung bereit. Nur ich und ein alter Teewagen, der sich heftig auf eine Seite neigte. Ich warf einen Blick über meine Trennwand, aber die EDV-Leute befanden sich fast den ganzen Tag über auf irgendeiner Sitzung, weshalb ich Bernard gar nicht zu Gesicht bekam. Auf dem Boden meines Schubladenkastens fand ich unter einer uralten Ausgabe des Heat Magazines eine Akte, die ich den ganzen letzten Sommer überall gesucht hatte. Richter Morgan hatte wegen dieser Akte einen Fall beim Obersten Gerichtshof vertagt. Die Firma hatte es eine beträchtliche Summe Geld gekostet, und hier war sie jetzt, lag auf dem Boden meines
Schubladenkastens, begraben unter Gesellschaftsklatsch, als wäre nichts gewesen. Ich nahm sie heraus und machte einen Sprung, als ein Schatten auf meinen Schreibtisch fiel.
    »Ist das die Akte?« Es war Laura, und obwohl sie in der Buchhaltung arbeitete, wusste sie von der Akte. Die Suche danach war großflächig angelegt gewesen und umfasste damals mehrere Abteilungen.
    »Nein, nein, es ist nur … es handelt sich um eine andere Akte. Weißt du, wir haben hier massenweise davon.« Die Akte, prall gefüllt mit Dokumenten, platzte fast aus ihren Nähten. Ohne

Weitere Kostenlose Bücher