Tage der Freuden
halten – er verkrampfte sich, um ihn nochmals zu leben, ihn wieder anzufachen und ihn vor sich wie einen Schmetterling an eine Nadel zu heften. Und mit jedem Male wurde es schwerer. Nie konnte er den Schmetterling festhalten – was er konnte, war, daß er ihm jedesmal mit den Fingern etwas von dem Flügelschmelz fortnahm, oder vielmehr: er sah die Schmetterlinge im Spiegel, vergeblich stieß er sich wund an dem Spiegel, um sie zu berühren, aber er machte ihn nur trüb und sah sie nur noch undeutlich und weniger bezaubernd. Und nichts konnte den getrübten Spiegel seines Herzens erneuern, jetzt, da der reinigende Atemhauch der Jugend oder des Genies nicht mehr darüber hinwegstrich – welches unbekannte Gesetz unserer Jahreszeiten, welche geheimnisvolle Tag- und Nachtgleiche unseres Herbstes sprach sich darin aus?
Jedesmal machte es ihm weniger Kummer, diese Küsse verloren zu haben und diese endlosen Stunden und diese Düfte, die ihm einst Entzücken gewesen. Daß er weniger litt, machte ihn leiden, und dann verschwand selbst dieses Leiden. Und dann waren alle Leiden fort, die Freuden mußte er, nicht vertreiben, denn sie waren lange schon, ohne ihr Haupt zu wenden, auf geflügelten Sohlen entflohen, blühende Zweige in der Hand; sie waren von dieser Behausung gegangen, die nicht mehr jung genug war für sie. Und dann starb er wie alle Menschen.
VII
Reliquien
Ich habe alles erworben, was man aus dem Besitz der Frau verkauft hat, deren Freund ich hatte sein wollen und die mich keines Wortes gewürdigt hat. Ich habe das kleine Kartenspiel, daß sie alle Abende unterhalten hat, ihre beiden Bronzeäffchen, drei Romane, die auf dem Deckel ihr Wappen tragen, ihre Hündin. O ihr Köstlichkeiten, teure Freuden ihres Lebens! Euch hat, ohne daß ihr es wie ich genossen hättet, ja ohne daß ihr es ersehnt habt, ihre freie Zeit gehört, die unverletzlichste, die ganz geheimgehaltene. Ihr habt euer Glück nicht gefühlt und könnt es nicht erzählen.
Ihre Finger haben die Karten an jedem Abend im Kreise ihrer nächsten Freunde berührt, die Karten haben sie gesehen, wenn sie sich langweilte oder wenn sie lachte, sie waren dabei am Beginn ihrer Liaison, sie hat sie hingelegt, um den Mann zu umarmen, der dann nachher jeden Abend wiederkam, um mit ihr Karten zu spielen.
Das sind die Romane, die sie in ihrem Bett geöffnet und geschlossen hat nach ihrer Laune, nach dem Grade ihrer Müdigkeit, sie hat sie ausgewählt nach den Grillen des Augenblicks, da ihre vertrauten Träume sich mit den Phantomen der Bücher paarten, damit sie sich besser ihrer eigenen Traumwelt hingeben konnte – habt ihr nichts von ihr zurückbehalten, könnt ihr mir nichts erzählen?
Ihr Romane, sie hat doch mit ihrer Menschlichkeit das Leben eurer Helden und eures Dichters mitgelebt. Ihr Karten, hat sie nicht nach ihrer Art mit euch die Ruhe und bisweilen auch die Fieberstunden des lebendigen Beisammenseins nachempfunden, habt ihr nichts behalten von ihrer Gedankenwelt, die ihr zerstreut habt oder erfüllt, nichts von ihrem Herzen, das ihr geöffnet habt oder getröstet?
Karten und Romane, so oft wart ihr in ihrer Hand, so lange bliebt ihr auf ihrem Tisch, Dame, König und Bube, ihr unbeweglichen Genossen ihrer tollsten Feste, Romanhelden und Heldinnen, die ihr geträumt habt neben ihrem Bett, unter den gekreuzten Lichtern ihrer Lampe und ihrer Augen, euren langen schweigsamen und doch gesangvollen Traum geträumt – es kann nicht sein, daß ihr den ganzen Duft verflüchtigt habt, womit die Luft ihres Zimmers, das Gewebe ihrer Kleider, die Berührung ihrer Hände oder Knie euch durchtränkt hat.
Ihr habt die Falten und Knicke behalten, womit ihre freudige oder nervöse Hand euch umgeblättert hat, vielleicht haltet ihr auch die Tränen, die ein Romankummer oder ein Lebenskummer ihr abgepreßt hat, noch gefangen. Das Tageslicht, das ihre Augen glänzen ließ oder ihnen wehetat, hat euch diese warme Farbe gegeben. Zitternd berühre ich euch, voller Angst vor euren Ausstrahlungen, unruhig über euer Schweigen. Ach, vielleicht war sie wie ihr, ihr zauberhaft zerbrechlichen Dinge, vielleicht war sie ohne Empfinden, ja ohne bewußtes Wissen ihrer eigenen Anmut. Ihre tiefste Schönheit war vielleicht in meiner Sehnsucht. Sie hat ihr Leben gelebt, aber vielleicht bin ich es, der sie nur erträumt hat.
VIII
Mondscheinsonate
1
Es war nicht so sehr der anstrengende Weg als vielmehr die Erinnerung an meinen Vater und seine Forderungen, es war die
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