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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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die richtigen Worte für eine Beerdigung zu sprechen. Die richtigen Worte, die richtigen Farben.
    Weinrot, dachte sie, und der junge Mann mit dem Lächeln und den Locken kam auf sie zu, und sie konnte sich nicht bewegen, obwohl sie wegrennen wollte.
    »Entschuldigung, ich müsste hier kurz die Abstände ausmessen«, sagte er.
    »Natürlich.«
    »Sie können sich gleich wieder hinsetzen. Ist Ihnen … ist alles in Ordnung?«
    »Ja, danke.« Sie sah hinüber zu Mariella und der Redakteurin, und fing einen Blick von Mariella auf. Einen besorgten Blick. Mariella hatte nicht gewollt, dass sie mitkam, Mariella hatte gesagt, dass sie nicht arbeiten solle, nicht jetzt. Sie stand auf und sah dem jungen Mann dabei zu, wie er ein Maßband anlegte.
    »Gefällt Ihnen das so?«, fragte sie.
    »Äh … Entschuldigung?« Der junge Mann lächelte, mit gerunzelter Stirn.
    »Die Farben, dieses Weinrot.«
    »Ach so. Äh … doch, schon ok.«
    »Ich wollte in meinem Entwurf eigentlich nur den Teppich so gestalten, die Sessel weiß«, sagte sie.
    »Ah … ach so.«
    »Was hätten Sie gemacht?«
    »Hm. Ok … mal überlegen. Also, das ist doch ganz schön, dass die Sessel die gleiche Farbe haben, ist irgendwie … harmonisch.«
    Harmonisch, dachte sie. Eine Welt, in der Gleiches zu Gleichem floss. Und alle Farben steuerten auf dasselbe Ziel zu.
    »Oder?«, fragte der Junge, ein wenig verunsichert lächelnd.
    »Ja«, sagte sie. »Ja, Sie haben recht.«
    Der Junge nickte, erleichtert.
    »Sie haben recht, danke«, sagte sie. Sie sah ihm dabei zu, wie er sich abwendete und begann, Entfernungen abzumessen, und sie war nicht sicher, ob er ihr noch zuhörte, als sie weitersprach, oder ob er schon wieder in der Melodie verschwunden war, die er summte.
    »Sie haben recht«, sagte sie. »Ich hatte … mir … alles nur ganz anders vorgestellt.«
40
    Am Abend, als sich Lasse Ekholm zurück ins Krankenhaus fahren ließ, war auch der letzte Rest des Schnees geschmolzen, in der plötzlichen Wärme eines sonnigen Nachmittags, der an ihm vorübergeglitten war wie eine vage Ahnung. Die Straßen waren leer und trocken, und das Taxi bewegte sich kaum merklich, leicht und unbehelligt auf einer geraden Linie. Der Gedanke, dass dieser Wagen, in dem er saß, von der Straße abkommen und gegen einen Baum prallen könnte, erschien abwegiger als alles, was er je gedacht hatte.
    »Tja«, sagte der Taxifahrer, als sie vor dem Haupteingang des Krankenhauses zum Stillstand kamen, und Lasse Ekholm hatte den Eindruck, dass er noch etwas sagen wollte, dass ihm Worte auf der Zunge lagen, dass ihm Gedanken durch den Kopf gingen, so als beginne er nun doch sich zu fragen, mit wem er da eigentlich den ganzen Tag durch die Gegend gefahren war. Was war das für ein Fahrgast, der sich am Krankenhaus abholen ließ, um zu einem Bestattungsinstitut zu fahren und von dort weiter zu einer Kirche mit Friedhof und von diesem Friedhof zu einem Pfarrhaus und von dort zurück ins Krankenhaus?
    »Danke«, sagte Lasse Ekholm. »Danke, dass Sie immer warten konnten, das hat mir geholfen.«
    »Tja«, sagte der Fahrer.
    Ekholm gab ihm die Summe, auf die sie sich am Vormittag geeinigt hatten, und Trinkgeld, und er dachte vage, dass er für diesen Mann an diesem Tag vermutlich ein Glücksfall gewesen war, er erinnerte sich, kürzlich erst einen Bericht gesehen zu haben über die miserablen Umsätze von Taxifahrern in finnischen Innenstädten.
    Ein seltener Glücksfall, dachte er, als Folge eines seltenen Unglücksfalls, und der Mann auf dem Fahrersitz räusperte sich.
    »Ja«, sagte Ekholm und griff nach der Tür, und sein Griff ging ins Leere, weil keine Tür da war, keine Tür und keine Windschutzscheibe, er spürte den Schnee, der ins Innere des Wagens schneite. Der Fahrer sagte etwas, er verstand nicht, was, und er tastete nach dem Türgriff, bis er ihn endlich zu fassen bekam, und stieg aus.
    Der Abend fühlte sich warm an, fast wie Frühling, als er auf den Eingang des Krankenhauses zulief. Er durchquerte die dunkle Halle und holte sich eine Flasche Wasser aus einem Automaten in der Cafeteria. Im Aufzug stand er neben zwei Pflegern und einer alten Frau, die schwer atmend auf einer Trage lag. Einer der Pfleger sprach beruhigend auf sie ein, der andere schien ungerührt. Er ließ die drei im Aufzug zurück und lief den Flur entlang, eine der Schwestern fragte ihn, warum er noch auf dem Flur laufe, es sei schon neun Uhr vorbei.
    »Ich war noch in der Stadt, um die Sache mit dem Sarg und der

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